Rezension: Sadakos Plan

Der Inhalt des 2004 erschienen Gorillabandes Sadakos Plan, lässt sich eigentlich in zwei Worten zusammenfassen: Sadako stirbt. Erzählt wird die wahre Geschichte von Sadako Sasaki. Diese stirbt an Leukämie, ausgelöst durch den Atombombenabwurf über Hiroshima, welchen sie zweijährig, scheinbar unverletzt überlebte.

Der primäre Inhalt des Werkes widmet sich Sadakos letztem Lebensjahr, ihrem Aufenthalt im Krankenhaus, ihrem täglichen Erleben des Klinikalltags, ihren Begegnungen und Gefühlen. Ausgelotet werden die Fragen nach dem Umgehen mit Schwerkranken, mit Todgeweihten. Das zentrale Motiv ist jenes der Frage nach der Akzeptanz des eigenen Todes und ferner jener nach der Sinnhaftigkeit des Todes eines jungen, gerade mal 13-jährigen, Mädchens.

Klar ist, stofflich gehört Sadakos Plan gewiss nicht in das Feld der „leichten“ Kinder- und Jugendliteratur. Zum einen da das akribische Nachvollziehen des langsamen Sterbens eines Mädchens emotional sehr aufwühlend ist, zum anderen da ein wirkliches Verständnis des Gelesenen (wie wohl bei den meisten historischen Werken der Kinder und Jugendliteratur) ein gewisses Vorwissen voraussetzt.

Was „Sadakos Plan“ abseits der eben genannten inhaltlichen Aspekte auszeichnet, lässt sich im groben in folgende Unterpunkte gliedern:

Primär brilliert das Werk durch eine enorme sprachliche Präzission. Kurze und kürzeste Sätze erzeugen ein enormes Lesetempo. Alles, so erscheint es dem Leser, rast auf das unausweichliche Ende hin. Ganz der Konzeption des Spannungsbogens entsprechend bremsen Ingrid und Christian Mitterecker den Textfluss an ausgewählten Passagen gezielt ein: Phasenweise laden Momente (beispielsweise Sadakos Tag mit ihrer Familie am Meer) zu verweilen ein. Auch die lyrischen Versatzstücke des Textes bieten sich als Inseln der harmonischen Ruhe an.

Die Faktenaufzählungen, in ihrer listenhaften, meist mehrzeiligen Aufzählung, erzeugen ein besonders hohes Lesetempo und einen wahren Widerstand beim Leser. Es scheint, als wäre es nicht zuletzt der Leseakt selbst, welcher das unausweichliche Sterben Sadakos vollzieht. Wer nun einwirft, dass diese Ebene der Textentschlüsselung einem Jugendlichen wohl unmöglich sein wird, der hat natürlich Recht. Demgegenüber sei allerdings angemerkt, dass die eigentliche Stärke des Spracheinsatzes in seiner schier unglaublichen emotionalen Direktheit liegt. Sprich: selbst wenn die Wirkungsweise nicht wie hier auf einer Metaebene analysiert wird, sie funktioniert. Und das gewiss auch bei SchülerInnen.

Textgattungen
Eine weitere Besonderheit wurde nun bereits vorweggenommen. Das Werk zeichnet sich durch eine Vielzahl an Textgattungen aus. Die Prosa wird immer wieder gebrochen. Die lyrische Form des Haikus beispielsweise ist gleichermaßen inhaltlich zentral wie zeitlicher Orientierungspunkt. Anhand der Haikus ist es dem/r LeserIn möglich, das Geschehen zeitlich einzuordnen. Eine Anleitung, wie Haikus aussehen sollen, liefert das Werk gleich mit. Dass sich hier eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für den Deutschunterricht bieten, muss wohl nicht weiter dezidiert ausgeführt werden.

Eine weitere Besonderheit ist die Erzählsituation. Die Autoren wählten die Perspektive der Papierkraniche, welche, gewissermaßen als eine Art kollektives Gedächtnis, Sadakos Geschichte erzählen. Eingenommen wird also grundsätzlich eine auktoriale Erzählperspektive - was nicht zuletzt anachronistische Zeitsprünge, Rückblenden und Perspektivenwechsel ermöglicht. Die Erzählsituation wird aber immer wieder gebrochen, ohne den Lesefluss zu stören. Besonderen Eindruck hinterlassen jene Passagen, in welchen die Kraniche eine Introspektive Sadakos anführen, sie schlüpfen quasi in Sadako um deren Gefühlswelt, deren Ängste und Hoffnungen in einer kindgerechten Sprache auszuformulieren.

Wer sich nun wundert, warum in der obigen Aufzählung Sadakos Plan nicht genannt wurde, der sei auf eine weitere Stärke des Werkes verwiesen. Nach dem Tod Sadakos kippt die Erzählperspektive erneut, aus einer Geschichte, aus einer Erzählung wird ein Aufruf. Der/die LeserIn wird direkt angesprochen, sie wird aufgefordert Sadakos Plan selbst zu definieren, ihn zu verwirklichen. Der Titel „Sadakos Plan“ verspricht, im Gegenteil zu seiner literarischen Vorlage „Sadako will leben“, ja bereits im Titel, ein partizipatives Geschichtsbild zu vermitteln. Diesem Anspruch wird das Werk durchaus gerecht. Zwar bleibt Sadako, ganz im Sinne des „Engels der Geschichte“ nach Hanna Arendt, eines der unzähligen Opfer im Schutthaufen der Geschichte, umgekehrt wird der/die Leserin allerdings zum agierenden Subjekt. Ihm/r kommt die Rolle zu, Sadakos Tod nicht sinnlos bleiben zu lassen, und insofern offenbart sich zwischen den Zeilen der eigentlichen Erzählung durchaus Sadakos Idee einer besseren Welt. Diesen Plan zu verwirklichen obliegt uns allen.

Im Unterricht
Sadakos Plan liefert eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für den Deutschunterricht. Textgattungen, wie jene des inneren Monologs, können anhand des Buches erarbeitet werden. Erörterungen zum Thema Pro/Contra-Atomenergie bieten sich an. Besonders interessant könnte auch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der lyrischen Form des Haikus sein. Auch die Frage: „Was war Sadakos Plan und wie könnte man diesen verwirklichen?“, bietet allerlei Anknüpfungspunkte – sei es für Diskussionsrunden, sei es für Gruppenarbeiten mit anschließenden Präsentationen. Darüber hinaus bietet sich „Sadakos Plan“, ob der 1000 Erzählstimmen, gewiss auch für eine szenische Aufarbeitung an.

Das Werk lässt sich zudem großartig in den fächerübergreifenden Unterricht einpassen. Dabei muss nicht „nur“ an Geschichte gedacht werden. Das im Anhang befindliche Reisetagebuch beschreibt das Japan der Gegenwart und bietet sich auch für den Geographieunterricht an. Das zentrale Motiv der Origami-Kraniche lässt sich wundervoll in die Werkerziehung oder die bildnerische Erziehung integrieren. Gerade für diese Form der fächerübergreifenden Auseinandersetzung mit dem Werk bietet sich auch die vom Buchclub ausgearbeitete Cybertour an. 


Buchklub GORILLA Band 26
Ab der 5. Schulstufe

Text: Sonja Tollinger

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