Alfred Gelbmann, Trümmerbruch oder Die Entdeckung des glücklichen Raumes

„Ein Friedhof ist ein Friedhof. Man sollte von einem Friedhof nicht mehr erwarten, als er für die Toten bedeutet. Die Lebenden sind Gäste auf Friedhöfen.“ (50)

Alfred Gelbmann gilt als der Meister der „lapidaren Logik“, worin Selbstverständlichkeiten enträtselt werden, indem sie ähnlich dem Roman nouveau in ihre Einzelteile zerlegt werden.

Im Roman Trümmerbruch geht es um die unrunde Aufgabe, das Leben in den Wesenszügen in den Griff zu bekommen und womöglich noch ein Stück Glück zu erhaschen. Zu diesem Zweck wird alles im Sinne eines Samuel Beckett reduziert und im Gegenzug nach der Methode Stifters bis in die Elementarteilchen hinein minimalisiert.

Die Hauptfigur Moser sitzt in der Anstalt, betreut von einem „freundlichen Wärter“ und ausgeliefert einem „Rat“, der seinen Sitz womöglich gar nicht in der Anstalt hat. Dieser Rat drangsaliert Moser, Niederschriften abzuliefern, in denen er zu seinem Leben, zu einem möglichen Tathergang und zu den Überlebensbedingungen in der Zelle Stellung nehmen soll.

Moser leidet unter dieser zwangshaften Schreibhaltung, dennoch hat er sich die Zelle zu einem glücklichen Raum ausgebaut, der teilweise durch den Spion ausgespäht werden kann, teilweise im toten Winkel liegt.

In sieben Nachschriften schreibt Moser sein Leben auf, das Getümmel in der Linzer Muldenstraße der Nachkriegszeit, die Verbindungen zum Stahlwerk, das Leben im Loch der puren Existenz. Eine frühe Freundin wird erschlagen, ein Nachbar hängt sich auf, und dann ist dann noch Lilas Tod, für den Moser verantwortlich ist.

Aber ehe diese Geschichten ans Tageslicht der Niederschrift kommen, muss sie Moser niederringen, einzeln, Satz für Satz. Dabei ist es äußerst schwierig, einen einmal geschriebenen Satz auch wieder durchzustreichen (94) oder in einem von Bildern verschütteten Satz das Vorne vom Hinten zu unterscheiden.

Jeder Satz, der über einen Anfang hinausginge, würde mehr Schaden anrichten, als er letztlich den Sichtungen der Trümmerbruch-Scherben dienlich sein könnte. (65)

In die Textwelt eingelagert sind Schwarzer-Peter-Karten, Urkunden, Fragmente von Skulpturen, an denen sich Moser zwischendurch orientiert auf der Suche nach dem glücklichen Raum.

Die Übergabe der Nachschriften an den Rat erfolgt demütigend nach strengem Zeremoniell. Einmal wird Moser vom freundlichen Wärter niedergeschlagen, so dass die letzte Niederschrift gar der edierende Autor selbst verfassen muss.

Alfred Gelbmanns Roman erzählt eine andere Geschichte der Nachkriegszeit, realistisch in die Vorstadt von Linz gepflanzt, dann wieder von der generellen Literaturgeschichte überlagert. Diese karge Situation „Insasse-Wärter-Rat“ kann auch als das Ur-Muster des Literaturbetriebs gelesen werden.

Wir schreiben alle unter Zwang über unsere Taten, werden dabei von freundlichen Wärtern zusammengeschlagen und übergeben alles am Schluss einem Rat, von dem wir nichts wissen. – Eine aufregende Art, Geschichte zu erzählen und das Schreiben darüber in Frage zu stellen.

Alfred Gelbmann, Trümmerbruch oder Die Entdeckung des glücklichen Raumes. Roman.
Innsbruck, Wien: Kyrene 2012, 222 Seiten, EUR 19,90, ISBN 978-3-900009-93-9



Weiterführender Link:
Kyrene-Verlag: Bücher

 

Helmuth Schönauer, 11-06-2012

Bibliographie

AutorIn

Alfred Gelbmann

Buchtitel

Trümmerbruch oder Die Entdeckung des glücklichen Raumes

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Kyrene-Verlag

Seitenzahl

222

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-900009-93-9

Kurzbiographie AutorIn

Alfred Gelbman , geb. 1946 in Linz, lebt in Wels und Wien.