Andreas Wiesinger, Boulevardzeitungen im crossmedialen Vergleich

Süffisant verweisen Patrioten darauf, dass es in Tirol kaum Boulevard-Journalismus gibt, weil in diesem Land nur hochqualifizierte Journalisten in hochqualifizierten Medien für ein hochqualifiziertes Publikum schreiben.

Andreas Wiesinger nimmt für die „Boulevardzeitungen im crossmedialen Vergleich“ deshalb acht Zeitungen ins Visier, unter anderem „Bild“, „Blick“, „Heute“ und „Kronenzeitung“, um erstens auszumachen, wie populärer Journalismus funktioniert, und zweites abzuchecken, wie sich das Boulevard das neue Medium Online unter den Nagel reißt.

Wie dynamisch und zum Teil unstrukturiert es auf diesem Markt zugeht, zeigt etwa die Pointe, wonach das Wort „Multimedia“ noch 1995 als Wort des Jahres gewählt worden ist. Mittlerweile ist das Verschmelzen der einzelnen Medien-Typen zu einem Giga-Hybrid Wirklichkeit geworden.

Im ersten Abschnitt wird das Wesen des Boulevards mit seinen knalligen Überschriften, halb zitierten Gerüchten und prächtig ausgebauten Home-Storys vorgestellt. Immer wieder geraten Schlagzeilen beinahe zu lyrischen Events:

„Assinger: Zeigte er Stinke-Finger?“ / „Väterchen Frost? Mütterchen Lust!“ / „POpulär. Wetten, dass Sie diesen Hintern kennen?“ (181)

Längst hat sich ein eigenes Layout entwickelt, das zwischen Schlagzeile, Bild und Bildunterschrift ein eigenartiges Boulevard-Narrativ hervorkriechen lässt, das sich durchaus als Gerücht weitererzählen lässt.

Im crossmedialen Vergleich dazu geht das Boulevard Online eigene Wege. Nur bedingt werden Aufmachungen aus dem Printbereich eins zu eins online gestellt. Das fängt schon damit an, dass die gedruckten Schlagzeilen am Display nicht mehr funktionieren. Außerdem ist das Verhältnis Bild zu Unterschrift am Display ein völlig neu zu komponierendes und kann mit der Druckausgabe nur bedingt verglichen werden.

Die digitalen Ausgaben setzen vor allem auf das RUDI-Prinzip, (Relevant, unvollständig, direkt, interessant), das heißt, beim Vorbeiwischen des Aufmachers am Leserauge entscheidet sich, ob dieser noch ein wenig in die Tiefe scrollt oder gleich weiter wischt. (159)

Die Arbeit Andreas Wiesingers impliziert als Anregung für die Leser:

  • Wer die Nachrichten verstehen will, muss wissen, wie der Nachrichtenmarkt tickt.
  • Nur wenn sich der Leser seiner eigenen Rolle bewusst ist, kann er den Boulevard halbwegs unbeschadet überleben.
  • Der Boulevard ist in punkto Raffinesse, Reizwörter-Kreation, Sprachbildung und Relevanz längst eine eigene Kunstform geworden, die nicht unterschätzt werden darf.
  • Wer wissen will, was auf der emotionalen Welt los ist, kommt am Boulevard nicht vorbei.

Die Entwicklung der neuen Medien ist noch lange nicht abgeschlossen, dem Boulevard scheint es freilich perfekt zu gelingen, das Online-Geschäft mit Verve und Perfektion voranzutreiben.

Schließlich hinterlässt Andreas Wiesinger noch eine Geheimbotschaft: Wer klug ist, setzt sich mit unrunden Dingen auseinander, statt über sie zu schimpfen. – Eine hilfreiche Arbeit, die auch zum Entschlüsseln des hochgeschätzten Tiroler Journalismus geeignet ist.

Andreas Wiesinger, Boulevardzeitungen im crossmedialen Vergleich. Inhalte und Gestaltung des populären Journalismus, Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe, Band 83.
Innsbruck: University Press 2015, 244 Seiten, 31,00 €, ISBN 978-3-901064-46-3

 

Weiterführende Links:
University Press: Andreas Wiesinger, Boulevardzeitungen im crossmedialen Vergleich
Universität Innsbruck: Andreas Wiesinger

 

Helmuth Schönauer, 26-07-2016

Bibliographie

AutorIn

Andreas Wiesinger

Buchtitel

Boulevardzeitungen im crossmedialen Vergleich. Inhalte und Gestaltung des populären Journalismus

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

University Pressw

Reihe

Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe, Band 83

Seitenzahl

244

Preis in EUR

31,00

ISBN

978-3-901064-46-3

Kurzbiographie AutorIn

Andreas Wiesinger, geb. 1978 in Innsbruck, lebt in Innsbruck.