Andrej Kurkow, Die Kugel auf dem Weg zum Helden

In diversen Heldenbiographien inklusive jener von Andreas Hofer wird immer zu wenig die Kugel gewürdigt, die aus einem normalen Menschen einen Helden macht.

Andrej Kurkow lässt es sich in seiner Trilogie „Geographie eines einzelnen Schusses“ nicht nehmen, etwas logisch Groteskes wie die Sowjetunion durch grotesk-logisch Helden darzustellen. Nach einem Volkskommissar, der ein Leben lang das Volk inspizieren muss, und einem Papagei, der politische Sprüche in krächzende Epen zu verwandeln hat, macht sich jetzt eine Kugel auf den Weg, einen Gerechten zu finden. Der Kugel beigesellt ist ein Engel, der den Helden immateriell retten kann, wenn er von der Kugel zerfetzt sein sollte.

Um dieses Durcheinander von Epochen, Helden und Ideen halbwegs vermessen zu können, müssen Volkskommissar, Papagei und Kugel ständig unterwegs sein. Sie entsprechen in etwa den Prinzipien Überwachung, Nachäffung und Hinrichtung, die in allen gigantischen Staatsgebilden angewendet werden müssen. Mit diesem Konzept kann nicht nur die ehemalige Sowjetunion bestens beschrieben werden, dieser Erzählmodus würde auch den Obama-USA durchaus entsprechen.

In einem Riesenreich wirken selbst große Orte verloren. Die Helden tummeln sich daher meist auf der Krim herum, um zu relaxen oder etwas auszuhecken, ein zweiter Schwerpunkt ist natürlich der Kreml, und eine dritte Speckschicht der Handlung ist in den Mythen und Geschichten angesiedelt. So wird immer wieder ein Lenin-Märchen erzählt, wie es in alten Schulbüchern steht oder von Veteranen in Trinkpausen erzählt wird.

Für große Distanzen ist natürlich die Kugel das ideale Transportmittel, einmal abgefeuert trifft sie jedes Ziel, wenn es sein muss erst nach Jahren. Nur so kann eine Idee bis in den hintersten Winkel getragen werden und keiner darf ihr entkommen.

Die Menschen haben gelernt, ungewöhnlichen Zeiten mit ungewöhnlichen Maßnahmen zu begegnen. So heiratet eine Patriotin einen nächstbesten Toten, um zur heldenhaften Witwenpension zu gelangen. Für Verheiratung mit einem Toten gibt es ein eigenes Zeremoniell und auch der Hochzeitskuss mit einem Toten fällt schmatzend aus. (78)

An anderer Stelle wird eine Frau durch bloße Willenskraft schwanger, was ihr den Kontakt mit Männern erspart. Eine brisante Idee wird in eine ausgestorbene Sprache übersetzt, damit sie keinem Lebenden gefährlich werden kann. Der Papagei fasst fallweise die Beschlüsse in einem Papageien-Song zusammen. – Die grotesken Mechanismen funktionieren auf allen Ebenen!

Andrej Kurkow erzählt beinahe schwerkraftlos. Mit größter Selbstverständlichkeit tritt das Ungewöhnliche auf und kann sich als Realität behaupten. Die Ereignisse sind end- und zeitlos. Fast alle Begebenheiten setzen mit einem Wettersatz ein, weil das Wetter das genaueste und unverfänglichste ist, was man in so einem aufgewühlten Reich erzählen kann. - Sarkastisch genau!

Andrej Kurkow, Die Kugel auf dem Weg zum Helden. Roman. A. d. Russ. von Claudia Dathe
Innsbruck: Haymon 2015, 387 Seiten, 22,90 €, ISBN 978-3-7099-7181-9

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Andrej Kurkow, Die Kugel auf dem Weg zum Helden
Wikipedia: Andrej Kurkow

 

Helmuth Schönauer, 13-10-2015

Bibliographie

AutorIn

Andrej Kurkow

Buchtitel

Die Kugel auf dem Weg zum Helden

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Haymon Verlag

Übersetzung

Claudia Dathe

Seitenzahl

387

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-7099-7181-9

Kurzbiographie AutorIn

Andrej Kurkow, geb. 1961 in Budogoschtsch/Leningrad, lebt in Kiew.