Arno Heinz, Und eine Nacht

Spielt das Alter des Erzählers eine Rolle für den Stoff des Erzählten? – Normalerweise ja, weil der Erzähler jeweils in einer gewissen Zeit verankert ist. Wenn der Erzähler freilich uralt ist, wird auch der Stoff zeitlos.

Arno Heinz spannt seine beiden Protagonisten eine Nacht lang auf die Folter, indem er sie zusammen mit einem Trupp Reisender auf einem vergessenen Flugsteig aussetzt. Auf dem Weg zwischen Check-In und Passagierkabine ist der Flug verloren gegangen, die Passagiere sitzen ohne Kommunikationsmittel mit der Außenwelt in diesem seltsamen Stück Realität in Warteposition, sinnieren vor sich hin, versuchen zu schlafen oder sonst wie geduldig zu sein.

Ein Über-Hundertjähriger Ich-Erzähler freilich behauptet, die Gedanken der Umstehenden lesen zu können. Er scannt sie der Reihe nach ab und erzählt Sequenzen aus deren Leben. Dabei hört ihm die Zwanzigjährige Laila mehr oder weniger aufmerksam zu, denn das Gedankengeratter des Alten schwankt zwischen philosophischer Altersweisheit und hektischem Aphorismus hin und her.

Sie musste selber schneller denken, dann konnte er ihr nicht folgen. (18)

Während der Alte seine Geschichten ausrollt, die er mehr oder weniger wahr über seine umstehenden Figuren ausbreitet, setzt sich für Leila eine eigenartige Sicht von der Welt durch. Der Stoff ist die Welt selbst, die hier im Flughafen aus allen Himmelsrichtungen zusammenläuft, der Stoff ist aber auch die Kunst des Erzählens und Aufschreibens.

Schreiben bedeutet, in andere Figuren hineinzusehen, behauptet der Alte, aber es wird erst wahr, wenn sie es aufschreibt.

Der Geschichtenerzähler korrigiert sich oft auch mitten im Erzählen, einmal wirft eine Hebamme eine Nachgeburt in den Fluss, das muss aber geändert werden, aber es ist noch nicht klar wie und warum.

In diese Gedankenströme sind edle Meilensteine der Erzähltheorie verpackt, etwa dass es bei Aristoteles heißt, die Personen sollten eher mit dem Publikum kommunizieren als untereinander. (45) Dann geht es um die Frage, ob das echte Leben eigentlich beim Schreiben stört, oder ob man es braucht, damit man was zum Schreiben hat.

Arno Heinz entwickelt mit seiner Erzählmethode eine originelle Form des Essays, in welchem er Gedankengänge zu Geschichten hochzieht und in Architektenmanier die Realität zu tragenden Säulen des Erzählens ausbaut. Der Titel ist natürlich Programm: „Und eine Nacht“ spielt auf das erzählerische Universum der Tausendundeinen Nacht an, gleichzeitig verkürzt es das erotische, existentielle und experimentelle Leben auf eine Nacht im Nirgendwo am Flugsteig.

Eine feinsinnige, amüsante und abgeklärte Form des Philosophierens über einen Flug, der am Boden stattfindet

Arno Heinz, Und eine Nacht. Erzählung.
Innsbruck: Kyrene 2013. 60 Seiten. EUR 12,50. ISBN 978-3-902873-18-7.

 

Weiterführende Links:
Kyrene-Verlag: Bücher

 

Helmuth Schönauer, 14-03-2013

Bibliographie

AutorIn

Arno Heinz

Buchtitel

Und eine Nacht

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Kyrene-Verlag

Seitenzahl

60

Preis in EUR

12,50

ISBN

978-3-902873-18-7

Kurzbiographie AutorIn

Arno Heinz, geb. 1941 in Innsbruck, lebt heute vorwiegend in Paris.