Bastian Kresser, Piet

Eine Geschichte funktioniert wie eine Software, jemand muss sie erfinden und programmieren, jemand muss sie anwenden, jemand muss sie archivieren oder löschen. Schriftsteller müssen Tag für Tag mit diesem Software-Modell arbeiten, kein Wunder, dass manchmal dabei ein Burnout ausbricht.

Bastian Kresser nimmt das Burnout des Ich-Erzählers zum Anlass, um in dieses Loch raffiniert ein volles Schreibprogramm hinein zu installieren. Der Held Fabian hat schon ein Buch veröffentlicht und steht unter Schock, als ihm der Verleger sagt, Schriftsteller ist man erst ab dem zweiten Buch. Die Schreibkrise ist perfekt!

Im Tiefparterre von St. Nikolaus in Innsbruck sitzt derweil Piet auf einem Haufen Fotos und Geschichten. Er hat sich zur Vorsicht vier Festplatten zugelegt, damit die Fotos auch wirklich gesichert sind. Zu Piet kommt der Ich-Erzähler auf Anraten seines Bruders, wenn jemand aus Nichts Geschichten machen kann, dann Piet.

So kommt es zu literaturtherapeutischen Sitzungen mit Piet, der zu allem eine Geschichte hat, ob sie nun in Marokko, auf Sylt oder in Bosnien spielt. Immer wieder taucht dabei die Feuergeschichte auf, denn Storys mit Feuer sind besonders spannend. Im Vorarlbergischen haben offensichtlich Nazis Feuer in einem Asylheim gelegt, ein Polizist rettet ein Kind. Die Geschichte ist vorläufig spannend und sonst nichts.

Der Ich-Erzähler probiert es seinerseits mit Geschichten, die ihm zu Fotos einfallen. Allmählich werden die Aufgaben konkreter und inniger, er soll erzählen, wie es zur Trennung mit seiner Freundin gekommen ist. Auch Piet rückt mit Dingen heraus, die immer authentischer und realistischer werden. Erst wenn es zu einer Verschmelzung zwischen dem Stoff und den erzählenden und lesenden Personen kommt, kann die Geschichte ihre Wirkung entfalten.

Jetzt rückt die Geschichte alles in ein neues Licht. Die Partikel aus Piets Ausführungen kommen immer näher und lassen ein erotisches Quartett hervortreten. Fabian, sein Bruder, dessen Frau und der sagenhafte Piet sind verschiedene Seiten eines Würfels, bei dem es um Treue, Verlassen-Werden, Flucht, Vergewaltigung, Realität und Fiktion geht. Die Fakts sind das eine, die daraus gewobenen Narrative das andere. Vielleicht verkleiden sich alle mit der gleichen Krankheit, die sich mit Depression umschreiben lässt.

Am Schluss hat der Erzähler seinen Roman, aber ob er deshalb glücklicher ist, ist eine andere Frage.

Bastian Kresser arbeitet subtil die entscheidenden Fragen der Literatur heraus. Erst wenn die Schreibe weh tut und ins Fleisch fährt, kann sie etwas bewirken. Die Geschichten, die unser Leben verändern, sind ganz andere als jene, die im Literaturbetrieb angeboten werden. Die entscheidenden Geschichten haben einen Kern, der keiner Schreibmode unterliegt. – Das Feuer, das zu Beginn nur in der Chronik lodert, ist in das Innere der Leserschaft vorgerückt.

Bastian Kresser, Piet. Roman
Innsbruck: Limbus 2016, 226 Seiten, 20,00 €, ISBN 978-3-99039-074-0

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Bastian Kresser, Piet
Literaturportal: Bastian Kresser

 

Helmuth Schönauer, 26-04-2016

Bibliographie

AutorIn

Bastian Kresser

Buchtitel

Piet

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

226

Preis in EUR

20,00

ISBN

978-3-99039-074-0

Kurzbiographie AutorIn

Bastian Kresser, geb. 1981 in Feldkirch, lebt in Hohenems.