Bora Cosic, Konsul in Belgrad

Um von etwas Wichtigem authentisch berichten zu können, braucht es eine entsprechende Akkreditierung als Journalist, Wissenschaftler oder Diplomat.

Bora Cosic steht vor dem schier unlösbaren Problem, sein erzählendes Ich schon als Kind glaubwürdig akkreditieren zu müssen. Er wählt den Weg der Auto-Vereidigung und lässt sein Alter Ego vor sich selbst antanzen und den Posten einnehmen, das erzählende Ich ruft sich als Konsul in Belgrad aus.

Diese Erzählkonstellation als Konsul ermöglicht es dem Beobachter, im Schutze der Immunität der persönlichen Wahrnehmung an allerhand Programmen und Ereignissen in Belgrad teilzunehmen, ohne davon betroffen zu werden. Der Erzähler kommt nämlich ungefragt als fünfjähriges Kind in die fremde Stadt und fühlt sich fehl am Platz. Vieles ist ihm rätselhaft und er hilft sich, indem er alles als diplomatisches Ritual begreift, das in Wirklichkeit vielleicht etwas ganz Anderes bedeutet.

Dabei ist seine Rolle nicht ganz klar, Mutter wolle nämlich ein Mädchen und er muss jetzt alles in rosa Sachen absolvieren, ein verlorengegangener Mädchen-Konsul sozusagen. Mit diesem diplomatischen Blick lässt sich die Stadt als Sammlung einzelner Verschattungen begreifen, die nie ein fertiges Gesamtbild ergeben.

Der Beobachtungs-Konsul registriert, dass die bunten Schilder nach dem Krieg gegen sozialistische Grau-Schrift ausgetauscht werden, seine eigenen Kleider sind immer zu groß für die dargebotenen Verhältnisse, er liest aus heiterem Himmel Karl May und deutet die Welt fortan mit Begriffen aus dem Winnetou-Mythos. Irgendwann liegt ein Toter im Stiegenhaus, das dürfte der Krieg gewesen sein, von dem man nicht einmal als Konsul die Wahrheit herausprügeln kann.

Eine neue Berufsgruppe schlendert durch die Häuserfluchten, es sind ehemalige Studenten, die sich jetzt Partisanen nennen und in den Wäldern völlig „verbauert“ sind. (106)

Der erzählende Konsul ist jetzt alt genug, um auf die Uni zu gehen. Dabei umgibt er sich mit allerhand Künstlern, die als Ausweg aus der politischen Sackgasse dem Surrealismus frönen. Einer beißt von sich aus einen Hund, „weil wir alle Surrealisten sind.“ (113)

In den 1950-er Jahren bleibt einem nichts Anderes übrig, als im Kaffeehaus zu sitzen und sich dadaistisch zu benehmen. (142) Ab und zu werden Figuren von Andre Gide nachgeäfft, wenn sie zum Alltagsgeschehen passen. „Das Leben im Sozialismus spielt sich in Wirklichkeit irgendwie symbolisch ab.“ Jemand wartet auf die Straßenbahn und sagt Godot dazu.

Dann geht es auch für einen Konsul sehr schnell, Tschernobyl und die Sowjetunion fliegen in die Luft, in Belgrad stehen die Panzer bereit, um gegen die eigene Bevölkerung aufzutreten. Für den selbsternannten Konsul ist das Maß voll, er setzt sich nach Kroatien ab, das sich gerade von Jugoslawien abgesetzt hat.

Eine wundersam schelmische Art, der Geschichte den Zahn zu ziehen, indem man ihr mit diplomatischer Höflichkeit eins auswischt.

Bora Cosic, Konsul in Belgrad. Roman. A. d. Serb. von Katharina Wolf-Grießhaber [Orig.: Consul u Beogradu, Belgrad 2008].
Wien, Bozen: Folio Verlag 2016, 239 Seiten, 22,00 €, ISBN 978-3-85256-699-3

 

Weiterführende Links:
Folio Verlag: Bora Cosic, Konsul in Belgrad
Wikipedia: Bora Cosic

 

Helmuth Schönauer, 31-10-2016

Bibliographie

AutorIn

Bora Cosic

Buchtitel

Konsul in Belgrad

Originaltitel

Consul u Beogradu

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Folio Verlag

Übersetzung

Katharina Wolf-Grießhaber

Seitenzahl

239

Preis in EUR

22,00

ISBN

978-3-85256-699-3

Kurzbiographie AutorIn

Bora Cosic, geb. 1932 in Zagreb, lebt seit 1992 in Rovinij und Berlin.