Christian Futscher, Grüße an alle

Gute Schriftsteller überlegen ein Leben lang, was sie als den berühmten letzten Satz beim Sterben sagen könnten. Dabei entstehen oft ganze Gedichtbände.

Christian Futscher macht sich als Experte für außergewöhnliche Lebenssituationen naturgemäß auf die Suche nach einem passenden Gedicht, mit dem man sein Leben beenden könnte. Sein Top-Vorschlag für letzte Worte lautet: „Grüße an alle“. Mit dieser Grußformel beendet er den Gedichtband, wie auch ein paar Seiten früher in einem Herbstgedicht mit dieser Fügung die keimende Vegetation beendet worden ist.

Es gibt kaum eine Situation, in der sich nicht Grüße an alle ausrichten lassen, und der Autor macht verschmitzten Gebrauch von dieser schönen Allgemein-Zuwendung.

Der Anlass für ein Gedicht ist wichtiger als das Gedicht selbst, dadurch haben die Gedichte Christian Futschers immer auch einen Grund, ein Publikum und eine Historie. Musterbeispiel für diese „Zweck-Poetisierung“ ist der Auftrag eines Verlegers, der Autor soll nach Griechenland fahren und dort Gedichte schreiben.

Auf die Gegenfrage, wer diese Gedichte braucht, heißt es lapidar, die Griechen brauchen in ihrem jetzigen Zustand Gedichte. Also fährt der Poet hin und schreibt.
Gedichte dienen nicht nur zur Überbrückung kaputter Zustände, sie können auch radikal wie ein Manifest werden und ein Parteiprogramm poetisch inhalieren.

Radikales Statement // Weil niemand meine Bücher liest, / lese ich jetzt / von anderen auch keine Bücher mehr. / Ganz einfach. / Lest ihr nichts von mir, lese ich nichts von euch. / Das habt ihr nun davon. / Und ab morgen trage ich ein Kopftuch. / Um zu protestieren. / Gegen alles. (46)

Am anderen Ende der politischen Skala sitzen die Augenblicke des Verdunstens und Vergessens. Aus einem Wasserhahn tropft es und das lyrische Ich beginnt mit dem Wasser ein Gespräch und muss tatsächlich weinen und selber Wasser lassen, als das Wasser im Hahn wieder abgedreht ist.

Diese Lust, unscheinbare Augenblicke pathetisch zu organisieren und ein Tamtam daraus zu machen, diese Lust kommt im Darm des Poeten voll zum Tragen. Er hat im Endstück die sieben Zwerge sitzen, die jedes Mal Krawall schlagen, wenn er ein Stück Verdauung ins Freie absetzt. Und alle haben Angst, dass eines Tages Schneewittchen auf so einem Stück sitzen und in der weiten Welt verschwinden könnte.

Lyrische Impressionen aus Georgien, das an manchen Tagen in der falschen Gegend liegt, die liebenswerte Donau, die nach Osten zischt, während alle anderen in den Westen strömen, eine Fliege, die einen toten Vogel abschleckt: Mit einer kleinen Wendung ihres Tuns gewinnen die Akteure plötzlich neue Souveränität.

Und immer wieder kommt eine Genauigkeit zum Vorschein, die eigentlich gar nicht gefragt ist.

sextett // ich starre ins feuer / und zähle die flammen / es sind fünf (15)

Christian Futscher ist kein Flammenwerfer, sondern ein Flammenzähler, das macht seine Gedichte letztlich so wild.

Christian Futscher, Grüße an alle. Gedichte
Horn: Berger Verlag 2018 (= Neue Lyrik aus Österreich, Band 21), 64 Seiten, 16,50 €, ISBN 978-3-85028-828-6

 

Weiterführende Links:
Berger Verlag: Christian Futscher, Grüße an alle
Wikipedia: Christian Futscher

 

Helmuth Schönauer, 26-02-2018

Bibliographie

AutorIn

Christian Futscher

Buchtitel

Grüße an alle. Gedichte

Erscheinungsort

Horn

Erscheinungsjahr

2018

Verlag

Berger Verlag

Reihe

Neue Lyrik aus Österreich, Band 21

Seitenzahl

64

Preis in EUR

16,50

ISBN

978-3-85028-828-6

Kurzbiographie AutorIn

Christian Futscher, geb. 1960 in Feldkirch, lebt Wien.