Christoph W. Bauer, Die zweite Fremde

Wer die Heimat verliert, tauscht dafür zwei Fremden ein. - Nicht nur das neue Leben wird fremd, auch das bisherige verabschiedet sich von einem.

Christoph W. Bauer stellt in seinem Erinnerungsbuch aus der Gegenwart zehn jüdische Innsbruckerinnen und Innsbrucker vor, die alle nach dem Anschluss mehr oder weniger gerade noch ins Ausland fliehen konnten. Oft sind alle Spuren ausgelöscht, die Wohnungen okkupiert und nie mehr zurückgegeben worden.

Manchmal, wie im Falle des Kaufhauses Tyrol gibt es eine Erinnerungstafel an die ehemaligen Besitzer. Viele der Vertriebenen haben aber schon längst abgeschlossen und fahren nur noch selten nach Innsbruck.

So macht sich Christoph W. Bauer auf den Weg nach London, Manchester oder Israel, um die ins Exil Gezwungenen am Lebensabend zu befragen, was aus ihnen geworden ist.

Vera Adams in Plymouth etwa ist im Tourismus gelandet, in der Schweiz hat man sie während der Ausbildung als Bürgerin zweiter Klasse angesehen, einmal war sie mit einem Westendorfer liiert, aber die Familie wollte um keinen Preis jüdische Nachkommen, so hat sich alles wieder zerschlagen. Selbst die Gedenktafel im Kaufhaus kann den Schmerz über die  Verstoßung nur mäßig relativieren.

Auch Dorli Neale ist in den sechziger Jahren noch einmal nach Innsbruck zurückgekommen und hat sich über die Sprüche und verlogenen Mitleidsbekundungen nur mehr gewundert. (58)

In allen Interviews gibt es am Schluss eine Überlegung, was Heimat wohl bedeuten könnte.

Heimat ist ein typisch deutscher Begriff, meinen die Zwillingsbrüder Hans und Felix Heimer in Manchester, eigentlich ist die Sprache die Heimat, denn sie macht das Leben und sie macht die Welt.

Vera Graubart meint, dass wohl England jetzt die Heimat geworden sei. Und Abi Bauer in Israel sagt spontan, dass es das Brandjoch sei, auf das er als Kind immer geschaut hat. Ihm hat die Stadt Innsbruck noch lange nach den Nazis übel mitgespielt, als sie beim Ausbau des Südrings das Grab der Vorfahren eingeebnet hat mit der Bemerkung, die seien ohnehin nicht hier begraben gewesen.

An solchen Äußerungen zeigt sich, wie wichtig dieses Erzählen ist, das Christoph W. Bauer zusammengetragen hat mit dem Gedanken, dass diese Schicksale pure Gegenwart sind, dass nichts versickern und verlöschen darf, was durchaus an Schmerz und Missachtung anwesend ist.

Diese Erzählungen richten sich an uns Zeitgenossen, die immer noch allzu viele Mitbewohner ausgeschlossen haben, teils aus Geschichtslosigkeit, teils aus purem Konsumverhalten gegenüber der Gegenwart. Wenigstens die Ausrede, wir hätten nichts gewusst, wird durch diese Erzählungen an den Pranger gestellt. In der Geschichte gibt es auch so etwas wie eine Holschuld.

Christoph W. Bauer, Die zweite Fremde. Zehn jüdische Lebensbilder. Abbildungen.
Innsbruck: Haymon 2013. 175 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7099-7021-8.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Christoph W. Bauer, Die zweite Fremde
Wikipedia: Christoph W. Bauer

 

Helmuth Schönauer, 07-04-2013

Bibliographie

AutorIn

Christoph W. Bauer

Buchtitel

Die zweite Fremde. Zehn jüdische Lebensbilder

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

175

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7021-8

Kurzbiographie AutorIn

Christoph W. Bauer, geb. 1968 in Kärnten, lebt in Innsbruck.