Claudia Wisiol, im augenblick die ewigkeit

Gedichte sind oft extremen Zeitangaben ausgesetzt, zum einen handeln sie von der Flüchtigkeit des Augenblicks, zum anderen von der in Worten nicht zu fassenden Ewigkeit.

Claudia Wisiol spannt ihre Gedichte in den Schraubstock extremer Zeiten und dehnt und verdichtet sie zu lyrischen Texten, die im Schriftbild die Auswirkungen dieser Verformungen zeigen. So sind viele Gedichte an der Mittelachse zusammengeschliffen und erscheinen wie eine semantische Feile, andere wiederum stellen die Unordnung dar und die Wörter sind dementsprechend ausgeschüttet wie Kleinspielzeig auf dem Teppich, ab und zu greift das Schriftbild die inhaltliche Bewegung auf und geht in Wellen über.

Der graphische Ausdruck ist ein wesentlicher Bestandteil der Sammlung, die an fünf Kapitel-Stationen Halt macht:

vondemnochnichtgenauweiß / lustvolle zungen lecken lose erinnerungen / kreiswellenziehend / schweige mir mein freund / ewigkeit im augenblick.

Gemeinsam ist diesen Überschriften, dass sie auf das Vage, Unfertige, Prozesshafte hinweisen. Die Farbgebung ist noch nicht ganz entschieden, die Erinnerung schleckt noch in die Gegenwart herein, die Ereignisse ziehen noch ihre Kreise.

Einen Schwerpunkt im ersten Teil stellt die Suche nach Ordnung und Orientierung dar, das lyrische Ich macht sich auf den Weg, um aus sich selbst herauszukommen, es legt Strukturen an, wie man die Identität einkreisen könnte und setzt sich versuchsweise einer Identitätsspaltung aus.

Das zentrale Gedicht dieses Zyklus wird vor allem Bibliothekarinnen freuen, Ordnung muss sein!

ordnung muss sein // die bücher / geordnet / im regal / ihre geschichten / ungeordnet / im kopf // satzfragmente / erinnerungsfetzen / wörterschleier // die umschläge / von fester / gestalt als / hielten sie / alles / zusammen (39)

Neben den Identitätsschlieren des lyrischen Ichs, den Erkundungen von möglichen Lebensprogrammen und den Vorbildern eines gelungenen Lebens, wie es vielleicht die Vorfahren geschafft haben, sind es auch aktuelle Ereignisse, die aus der Folie der geglätteten Zeit herausschießen. Flüchtlingsströme, Mittelmeer oder Rettungseinsatz (75) halten die Welt in Atem und bringen die soeben mühsam geordnete Welt ins Schwanken.

Der Gedichtband endet mit einer dreimaligen Anrufung der Ewigkeit, ehe sich die letzten Zeitpartikel ins Nichts verabschieden.

nichts ist von bedeutung und alles ist // wichtig / nichts ist / wichtig / und // alles ist von bedeutung und nichts ist. (138)

Mit diesem reziproken Schöpfungsbericht endet eine Reise des Ichs durch eine unfassbare Zeit, die in kleinen Flunsen an das eigene Bewusstsein schlägt. Die einzelnen Gedichte greifen oft in einander über, so dass sich am Schluss so etwas wie ein lyrischer Essay ergibt, in dem das lyrische Ich um sich selbst kämpft.

Claudia Wisiol, im augenblick die ewigkeit. Gedichte
Innsbruck: TAK Verlag 2016, 143 Seiten, 18,00 €, ISBN 978-3-900888-62-6
 

Weiterführender Link:
TAK Verlag: Claudia Wisiol, im augenblick die ewigkeit

 

Helmuth Schönauer, 29-07-2016

Bibliographie

AutorIn

Claudia Wisiol

Buchtitel

im augenblick die ewigkeit. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

TAK

Seitenzahl

143

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-900888-62-6

Kurzbiographie AutorIn

Claudia Wisiol, geb. 1967, aufgewachsen im Defreggental, lebt in Tirol.