Elisabeth Malleier, Rabenmutterland

Das Konsequente an der Geschichte ist, dass sie als gigantischer DNA-Faden durch die Jahrhunderte zieht und nie aufhört. Alles, was in der sogenannten Gegenwart passiert, hat eine mehr oder weniger historio-genetische Verbindung zur Vergangenheit.

Elisabeth Malleier zeigt am Beispiel zweier alleinerziehender Mütter zur Optionszeit, wie die Sache weitergegangen ist. Und letztlich ist sie selbst Opfer und Produkt der Option.

In sechs Kapiteln wird dieser spektakuläre Aspekt der jüngeren Südtiroler Zeitgeschichte erzählt. Dabei gibt es zuerst eine Art Familienchronik, in der die einzelnen Zweige zusammengeführt und getrennt werden, in einem narrativen Blog schreibt dann eine gewisse „elma“ die Innensicht der Ereignisse auf. Dieser Erzählstandpunkt ermöglicht so etwas wie eine mitwachsende Zeitzeugin, in den kursiv gesetzten Erzählungen wird das jeweilige Alter der Erzählerin explizit ins Spiel gebracht.

Als Kern der Ereignisse wird das Schicksal von Anna und Rosa erzählt, die als Witwe und Alleinerzieherin mit ihren Kindern aus Südtirol wegziehen und nach zwölf Jahren im Sinne der Rückoption wieder nach Südtirol zurückkehren. Üblicherweise wird in der Geschichtsschreibung suggeriert, dass Optanten oder Dableiber geschlossen als Familienverbund gehandelt hätten. „Rabenmutterland“ zeigt freilich, dass Alleinerzieherinnen mit einer zusätzlichen Last fertig werden mussten, überall nämlich sind sie unerwünscht.

„Südtiroler unerwünscht“ zieht sich als roter Faden durch die Geschichte. Egal wo die Südtirolerinnen hinkommen, oft werden sie an den Rand gestellt und klein gehalten.

Diese kollektiven Erlebnisse gegen jedes Selbstwertgefühl zeigt die Autorin anhand einer kleinen Überlegung. Die Kinder der NS-Zeit lassen sich unterteilen in die Trümmerkinder, die Verfolgung und Vertreibung als Jugendliche erleben (Geburtsjahrgänge 1930-1934), die 35-39er Jahrgänge erleben das Desaster als Kleinkinder, die bis zum Kriegsende Geborenen saugen den Krieg quasi mit der Muttermilch ein. In die heutige Psychologie übertragen ergeben sich lauter traumatisierte Menschen, die zwischen Kinderdörfern, Auffanglagern und Ruinen hin und her geschickt werden.

Kein Wunder, dass diese Verstörungen in schweren Störungen, Minderwertigkeitsgefühl und jede Menge Alkoholismus enden. Die Gesellschaft lebt ungewollt in einem Rabenmutterland, da bleibt für die individuelle Verstörung kaum noch Platz.

Elisabeth Malleier schlägt mit dieser familienbiographischen Rekonstruktion ein neues Kapitel von Option und Vertreibung auf. Jetzt kommt eine neue Generation zu Wort, die sich mit den Mitteln moderner Psychologie und Traumata-Forschung besser zu wehren weiß. Den Geschundenen der Options-Generation kann damit nicht mehr geholfen werden, aber das Narrativ ermöglicht es, eine Überlebensgeschichte daraus zu formulieren.

Vielleicht ist diese Art der Geschichtsforschung und Geschichtserzählung auch eine Richtlinie, wie man die gegenwärtigen Migrationsgeschichten erzählen könnte. – Da fällt einem wieder ein Graffiti ein: „Ganz Afrika ist auf Option!“

Elisabeth Malleier, Rabenmutterland. Eine familienbiographische Rekonstruktion, Fotos, Mit einem Vorwort von Martha Verdorfer
Klagenfurt: Drava Verlag 2016, 174 Seiten, 14,00 €, ISBN 978-3-85435-773-5

 

Weiterführende Links:
Drava Verlag: Elisabeth Malleier, Rabenmutterland
Wikipedia: Elisabeth Malleier

 

Helmuth Schönauer, 29-06-2016

Bibliographie

AutorIn

Elisabeth Malleier

Buchtitel

Rabenmutterland. Eine familienbiographische Rekonstruktion

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Drava Verlag

Illustration

Fotos

Seitenzahl

174

Preis in EUR

14,00

ISBN

978-3-85435-773-5