Friedrich Hahn, Von Leben zu Leben

In einer Welt voller Vernetzung und großer Stückzahl von schlichten Gedanken ist die solitäre Individualität vermutlich das höchste Lebensgut und vielleicht der letzte Lebenssinn.

Friedrich Hahns großes Thema ist das Entstehen von Sinn durch Schreiben. Im Roman „Von Leben zu Leben“ geht er der Frage nach, ob sich diese Identitätsbeschaffung als Beruf ausüben lässt, was den Beruf des Schriftstellers neu definieren würde.

Mike sitzt in prekärer Situation mit sich selbst im Alltag herum, in seinem Alter ist fast alles schon gelaufen, das momentane Geschäftsmodell zeigt ihn als professionellen Gesprächspartner und Ghostwriter. Die meisten Geschäftskontakte verlaufen schnell und ergebnislos, die Kunden überweisen tapfer das Honorar, von dem eigentlich niemand so recht weiß, ob es gerechtfertigt ist.

Da taucht einer Tages Torsten auf, um zusammen mit dem Dichter das Leben abzuarbeiten. Genaugenommen sucht er einen Seelendetektiv, denn er will herausbekommen, ob seine damalige Freundin das Kind wirklich verloren hat und ob er nicht doch heimlicher Vater einer fünfzehnjährigen Kindes ist.

Mike verfasst professionell Stichwortketten, Hanni, Heirat, Haus, und bastelt so etwas wie einen Text daraus. Doch dann entwickelt sich eine schreib-erotische Beziehung und es fällt der schöne Satz, ich will ein Buch mit dir. (34) Der Schreiber hört seiner eigenen Biographie zu, denn alles was ihm der Auftraggeber erzählt, verwurstet er sofort in eigenes Leben. Bereits das Kommentieren einer fremden Geschichte kann zu einer Aneignung dieser führen.

Plötzlich stirbt Thorsten an einem Riss der Bauchschlagader, er beauftragt Mike noch, die Sache mit dem Kind zu Ende zu recherchieren. Tatsächlich führt dieser abschnittsweise dessen Leben weiter, er hangelt sich von Leben zu Leben.

Als es zur Begegnung mit der ehemaligen Freundin des Verstorbenen kommt, geht die Liebesgeschichte für kurze Zeit wieder weiter, so sehr hat offensichtlich der Autor das Leben seines Stoff-Lieferanten angenommen.

Zumindest das Buch wird fertig und verkauft sich hunderteinundzwanzig Mal, das ist gar nicht so wenig für eine inhalierte Fremd-Biographie.

Am Beispiel des Helden zeigen sich ein paar wunderschöne Gesetzmäßigkeiten der Literatur: Man muss auf jeden Fall der überlebende Teil eines Falles sein! Um das biographisch Weiche zu schützen, braucht es eine feste Rahmenhandlung, wie sie etwas Martin Suter in „Lila lila“ liefert. Und für das Schreiben selbst gibt es ohnehin nur Kafkas Diktum, „durch das Gekritzelte laufe ich mir selbst davon, um mich beim Schlusspunkt selbst zu ertappen.“ (145)

Man glaubt es als Leser kaum, dass dieser schreibende Held so sympathisch ist, er sauft, leidet, kämpft, schaut am Flughafen ankommenden Menschen zu, die er vielleicht abholen könnte, wenn er sie denn kennte. - Bravourös!

Friedrich Hahn, Von Leben zu Leben. Roman
Wien: Wortreich 2016, 153 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-903091-07-8

 

Weiterführende Links:
Verlag Wortreich: Friedrich Hahn, Von Leben zu Leben
Wikipedia: Friedrich Hahn

 

Helmuth Schönauer, 19-03-2016

Bibliographie

AutorIn

Friedrich Hahn

Buchtitel

Von Leben zu Leben

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Wortreich Verlag

Seitenzahl

153

Preis in EUR

19,90

ISBN

ISBN 978-3-903091-07-8

Kurzbiographie AutorIn

Friedrich Hahn, geb. 1952 in Merkengersch / NÖ, lebt in Wien.