Gerald Lembke / Ingo Leipner, Die Lüge der digitalen Bildung

„»Eine Kindheit ohne Computer ist der beste Start ins digitale Zeitalter«, lautet unsere erste These. Paradox? Eher ein bewusster Kontrapunkt zum Digital-Diskurs, der im Moment recht einseitig in der Öffentlichkeit läuft.“ (7)

Während die Zahl derer, welche die Verwendung von Tablets, digitalen Büchern u.a. digitalen Medien gar nicht früh genug gefördert wissen wollen und die Bildungsmöglichkeit durch digitale Medien bereits im Vorkindergartenalter propagieren, versuchen die Autoren des Buchs „Die Lüge der digitalen Bildung“ bewusst zwei Gänge zurück zu schalten. Detailliert versuchen zu erklären, ab welcher Entwicklungsstufe des Kindes der Umgang mit digitalen Medien und ihr Einsatz in Schulen sinnvoll und nicht sogar schädigend ist.

Im Mittelpunkt des Sachbuches stehen das Kind und seine kognitive Entwicklung vom Säugling bis zum Jugendlichen. Zunächst werden die wichtigsten Entwicklungsschritte des Kindes anhand der theoretischen Konzepte zur Entwicklung des Denkens erläutert, die sich vor allem an den Theorien der renommierten Psychologen und Neurowissenschaftlern Jean Piaget, Donald O. Hebb und Joachim R. Wolff orientieren.

Dabei spielen die Reifung der Funktionsmodule des Klein- und Großhirns durch reale körperliche Erfahrungen, die Verankerung kognitiver Funktionen im Gehirn, die neuronale Ausbildung durch differenzierte körperliche Bewegungen, die motivationale und emotionale Zuwendung und der ausreichende, gesunde Schlaf für die Entwicklung des Kindes im Mittelpunkt. Für all diese wichtigen Eckpunkte der Entwicklung eines Kindes stellt die Verwendung digitaler Medien durch Kinder ein Entwicklungshemmnis, dar.

Denn elektronische Medien nehmen im Gehirn des Kindes genau diejenigen Areale unter Beschuss, die für Lernen, Denken und Handeln im ganzen Leben verantwortlich sind. (220)

Dabei lehnen Gerald Lembke und Ingo Leipner, beide Experten für den Einsatz digitaler Medien im Bereich Bildung, den Umgang mit digitalen Medien nicht schlichtweg ab, sondern plädieren dafür, erst die natürliche Entwicklung von Kindern zu ermöglichen, um ihnen dann den kritischen und reflektierten Umgang mit Tablet, PC, Handy und Internet vermitteln zu können. Dabei kritisieren sie, dass in der gegenwärtigen Diskussion vor allem der Einsatz digitaler Medien im Mittelpunkt steht ohne kinderpsychologische Rücksichten zu nehmen und pädagogische Konzepte anbieten zu können.

Dass hinter der Diskussion um die digitale Bildung ein riesiger Bildungsmarkt auf große Gewinne hofft, wird im Kapitel „Digitale Bildung ist ein riesiger Markt – egal ob pädagogisch wertvoll oder nicht“ ausführlich dargelegt. Die beiden Autoren kommen zum Schluss, dass digitale Medien den elementaren Funktionsträgern unseres Gehirns regelrecht den Kampf ansagen:

Erhöhte Aktivität und beschleunigte Dynamik wirken schädlich auf die frühe Hirnreifung. (235)

Gerald Lembke und Ingo Leipner setzen sich kritisch mit der vieldiskutierten Forderung nach einem frühzeitigen Einsatz digitaler Medien im Unterricht auseinander, mit der die Kinder so früh wie möglich digitale Kompetenzen erlernen sollen. Dabei verlagern sie die Diskussion auf die Grundlagen für eine positive kognitive Entwicklung des Kindes, um dann zu klären, welche Auswirkungen der Umgang mit digitalen Medien auf diese Entwicklung haben kann.

Ihr Urteil für den frühzeitigen Einsatz digitaler Medien ist vernichtend und dahingehend, das Geld besser in Lehre und Erzieher statt in eine Digitalisierung von Schulen zu investieren. Ein überaus empfehlenswertes Buch, das eine kritische Position gegenüber einem Bildungstrend einnimmt, der in den meisten Medien als unausweichlich und notwendig propagiert wird.

Gerald Lembke / Ingo Leipner, Die Lüge der digitalen Bildung. Warum unsere Kinder das Lernen verlernen
München: Redline Verlag 2015, 256 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-86881-568-9

 

Weiterführende Links:
Redline Verlag: Gerald Lembke / Ingo Leipner, Die Lüge der digitalen Bildung
Wikipedia: Gerald Lembke

 

Andreas Markt-Huter, 16-09-2015

Bibliographie

AutorIn

Gerald Lembke / Ingo Leipner

Buchtitel

Die Lüge der digitalen Bildung. Warum unsere Kinder das Lernen verlernen

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Redline Verlag

Seitenzahl

256

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-86881-568-9

Kurzbiographie AutorIn

Prof. Gerald Lembke ist Studiengangleiter und Studiendekan für Digitale Medien an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) am Standort Mannheim. Als Experte für digitale Medien hält er bis zu 50 Vorträge im Jahr zu diesem Thema und berät Unternehmen und Organisationen.<br />Der Journalist und Dipl.-Volkswirt Ingo Leipner unterrichtet „Journalistisches Schreiben“ im Studiengang „Digitale Medien“ an der DHBW. Er ist Experte für publizistische Projekte im Internet und schreibt seit vielen Jahren für journalistische Online-Portale. Er ist auch als freiberuflicher Dozent.