Gergely Péterfy, Der ausgestopfte Barbar

Nach einem weit verbreiteten Kunstempfinden gilt die Ausstopfung als Steigerung der Skulptur. Wenn du wirklich ein echtes Denkmal willst, musst du den Helden ausgestopft aufstellen. Im österreichischen Literaturmuseum sind daher die wichtigsten Dichter mehr oder weniger ausgestopft dargestellt.

Gergely Péterfy greift diesen Ausstopfungsprozess auf, um das Schicksal eines politischen Sprachvisionärs aufzuzeigen. Im Jahr 1831 fährt Sophie Török von Ungarn nach Wien, um im Hof-Naturalien-Cabinet den ausgestopften Angelo Soliman zu besichtigen, der seinerzeit seine schwarze Haut auf Befehl des Kaisers seinem Freund hinterlassen musste. Dieser Freund ist der Schriftsteller und Sprachforscher Ferenc Kazinczy, der Ehemann von Sophie Török, der gerade eine Gefängnisstrafe in Kufstein absitzt, wohin man ihn wegen Verbreitung freimaurerischer Schriften gesteckt hat.

In diesem unseligen Jahr 1796 stirbt das Kunstgenie Angelo Soliman, das nicht nur wegen seiner Hautfarbe die Monarchie zu Bewunderung und Argwohn angeregt hat. Als Freimaurer wird er enttarnt und geächtet, seine Ironie erscheint allen als gefährlich. „Wer ist der größere Barbar von uns beiden?“ sagt er zu Ferenc, der ab nun die Bekämpfung des Barbarentums zu seiner Lebensaufgabe macht.

Sophie steht vor dem Ausgestopften und lässt in elf Kapiteln die habsburgisch unterdrückte Geschichte Ungarns auf sich einwirken. Ihr Leben spielt sich im Osten des Landes ab, zentraler Ort ist wohl Kosice, wo sich eine selten freie Kultur entwickelt hat.

Ihr Mann Ferenc hat vom exotischen Bildungsexperten Angelo für sich den Auftrag abgeleitet, dem Land zu einer eigenen Sprache zu verhelfen, denn nur, wer eine ausreichende Sprache hat, kann auch Selbstbewusstsein und Nationalstolz entwickeln. Fernec ist nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis noch gut drei Jahrzehnte lang unterwegs, um das Ungarische zu einer „tragfähigen Staatssprache“ zu machen. Oft muss er Wörter erst erfinden, um dadurch das Land weiterzuentwickeln.

Sophie nützt die Kraft eines Ausgestopften, um eine Epoche erzählerisch aufzudröseln und gleichzeitig als logisch geformten Ereignisblock als Ganzes zu erfahren. Für den Leser entsteht dabei eine grandiose Biographie über einen der größten ungarischen Sprachforscher und Spracherfinder. Je irrealer der Anlass dieser Betrachtungen ist, umso logischer leitet sich daraus die Geschichte des Ferenc Kazinczy ab.

Die hoch sensible und bestens ausgebildete Erzählerin löst sich dabei von ihrem frisch an der Cholera verstorbenen Mann ab und wendet sich der Hülle des Freimaurers zu, der gerade deshalb so glaubhaft ist, weil er seine Haut zu Markte trägt. So wird das Museum zu einem ironisch irritierenden Erinnerungsort und stellt alle Ausstopfungsprozesse bis herauf zum österreichischen Literaturmuseum in Frage.

Eine anstrengender, schmerzhafter, aber atemberaubend kluger Roman. Und der Nischen Verlag ist dabei das größte Glück, das Ungarn in den letzten fünf Jahren widerfahren ist, darin werden ungarische Schriftsteller in Übersetzungen vorgestellt.

Gergely Péterfy, Der ausgestopfte Barbar. Roman. A. d. Ungar. von György Buda [Orig.: Kitömött barbár, Pozsony 2014]
Wien: Nischen Verlag 2016, 556 Seiten, 28,00 €, ISBN 978-3-9503906-2-9

 

Weiterführende Links:
Nischen Verlag: Gergely Péterfy, Der ausgestopfte Barbar
Wikipedia: Gergely Péterfy

 

Helmuth Schönauer, 06-11-2016

Bibliographie

AutorIn

Gergely Péterfy

Buchtitel

Der ausgestopfte Barbar

Originaltitel

Kitömött barbár

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Nischen Verlag

Übersetzung

György Buda

Seitenzahl

556

Preis in EUR

28,00

ISBN

978-3-9503906-2-9

Kurzbiographie AutorIn

Gergely Péterfy, geb. 1966, unterrichtet klassische Philologie an einer kleinen Universität in Nordungarn.<br />György Buda, geb. 1945 in Hutthurm, lebt in Wien.