Harald Haarmann, Auf den Spuren der Indoeuropäer

„Die meisten historischen und rezenten Weltsprachen, d. h. Sprachen mit globalem Kommunikationspotential, gehören genealogisch zur indoeuropäischen Sprachfamilie […]. Wie kam es zu dieser Erfolgsgeschichte der indoeuropäischen Sprachen? Wo liegen ihre Ursprünge?“ (11)

Bereits im Mittelalter gab es erste Versuche Sprachfamilien wie romanische und germanische Sprachen zu unterscheiden. Im 17. Jahrhundert wurden erstmals ernstzunehmende Versuche unternommen übergreifende Sprachfamilien zu erkennen, was aus der Beschäftigung europäischer Gelehrter mit der indischen Sprache und Kultur zurückgeht. In dieser Zeit setzte eine zahlreiche Sammeltätigkeit von Sprachen ein, wie z.B. in Russland und den Zaren Peter I. und Katharina II. oder in Amerika, wo George Washington die Inventarisierung der Indianersprachen vorantrieb.

Als erster Forscher der eine später als indogermanische Sprachfamilie bezeichnete Sprachverwandtschaft ins Auge fasste war der Holländer Marcus van Boxhorn, der Vergleiche zwischen dem Lateinischen, Griechischen, Germanischen, Slawischen, Baltischen, Persischen und dem Sanskrit zog. Er ging davon aus, dass alle Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben.

In sechzehn Kapiteln geht Harald Haarmann zunächst der Lokalisierung der indogermanischen Urheimat in der Zeit des Neolithikums im 11. bis 8. Jahrtausend v. Chr. nach. Dabei spielt die Bedeutung des Pferdes eine wichtige Rolle für die damaligen Hirtennomaden, was sich in den sprachlichen Hinweisen der Pflanzen- und Tierbezeichnungen wiederspiegelt und die südrussischen Steppengebieten als Urheimat erschließen lässt.

Zentrale Strukturen und Eigenschaften der Sprache lassen sich bereits für die rekonstruierte Proto-indoeuropäische Sprache und Kultur postulieren. Dabei lassen sich wesentliche Merkmale im Lautsystem, dem grammatischen Bau und der Syntax ausmachen, wobei die Sprachgruppen verschiedene Entwicklungen genommen haben und synthetische Ausdrucksweisen durch analytische ersetzt worden sind. Eine besondere Bedeutung für das Erkennen ethnischer Identitäten kommt den Namen zu wie Ethnonyme, Personennamen und Namentypen in Regionalkulturen.

In weiteren Kapiteln wird den Gesellschaftsformen und Weltbildern der Proto-indoeuropäischen Regionalkulturen ab dem 7. Jahrtausend n. Chr. nachgegangen, den sozialen Hierarchien und patriarchalen Herrschaftsstrukturen sowie Kernelemente einer proto-indoeuropäischen Mythologie rekonstruiert. Im weiteren zeitlichen Verlauf vom 5. bis ins 4. Jahrtausend werden die ersten Kontakte mit den Ackerbauern des Westens sowie die beginnende Migration der Steppennomaden und der kulturelle Austausch ebenso beschrieben, wie die einsetzende Auflösung der Proto-Indoeuropäischen Grundsprache in der Auseinandersetzung mit den Alteuropäern.

Die folgenden Kapitel setzen sich detailliert mit der Entstehung der verschiedenen Kulturen in Europa auseinander, wie z.B. die hellenische Kultur ab dem 3. Jahrtausend in Südosteuropa, sowie ab dem 2. Jahrtausend die lateinische Kultur auf der Apennin Halbinsel, die von beiden Kulturen geprägte Balkankultur, die Kultur der Kelten und Germanen in Mittel- und Westeuropa, die Kultur der Slawen und Balten in Osteuropa, die Sprachen und Kulturen in Anatolien, im iranischen Hochland und die Kultur der Draviden und Arier in Indien.

Den Schluss machen Experimente mit Schriften von Linear B bis Ogham im Zeitraum zwischen 1700 v. Chr. und 500 n. Chr., wo der Vergleich der verschiedenen Schriftarten in diesem großen Zeitraum interessante Erkenntnisse bieten.

Harald Haarmann versteht es komplexe sprach- und kulturwissenschaftliche Phänomene auch für ein breiteres Publikum verständlich aufzubereiten, ohne dabei die wissenschaftliche Genauigkeit und Tiefe aus dem Auge zu verlieren. Die klare inhaltliche Struktur, die sich an chronologischen und geographischen Gegebenheiten ausrichtet, bietet den Leserinnen und Lesern trotz zahlreicher Fakten und Fachtermini eine klare thematische Orientierung.

Ein überaus informatives und lesenswertes Sachbuch, das auf hohem Niveau die zahlreichen Fakten zu einem anschaulichen Bild verknüpft, ohne die dem Zweig der Sprachforschung und Archäologie innewohnende Unsicherheit zu kaschieren.

Harald Haarmann, Auf den Spuren der Indoeuropäer. Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen, mit 26 Karten u. 24 Abb.
München: C. H. Beck Verlag 2016, 368 Seiten, 20,60 €, ISBN 978-3-406-68824-9

 

Weiterführenden Links:
C. H. Beck Verlag: Harald Haarmann, Auf den Spuren der Indoeuropäer
Wikipedia: Harald Haarmann

 

Andreas Markt-Huter, 22-05-2017

Bibliographie

AutorIn

Harald Haarmann

Buchtitel

Auf den Spuren der Indoeuropäer. Von den neolithischen Steppennomaden bis zu den frühen Hochkulturen

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

C. H. Beck Verlag

Illustration

26 Karten u. 24 Abb

Seitenzahl

368

Preis in EUR

20,60

ISBN

978-3-406-68824-9

Kurzbiographie AutorIn

Harald Haarmann ist ein deutscher Sprach- und Kulturwissenschaftler und Autor, der in Finnland lebt und arbeitet.