Harald Specht, Jesus? Tatsachen und Erfindungen

„Hat Jesus jemals gelebt? Oder ist er nur ein Phantom. »War Jesus doch nur eine Erfindung der urchristlichen Gemeinde?«, fragt Augstein. Eine erdichtete Figur, ausgesponnen von frühen Christen und Kirchenmännern? Kann man diese Frage heute noch klären? Gibt es von Jesus überhaupt noch greifbare Spuren in der Geschichte?“ (18)

Es gibt wohl wenige Figuren der Weltgeschichte, über die so viele Bücher geschrieben worden sind wie über Jesus von Nazareth, der als zentrale Person des Christentums bis in die Gegenwart die Faszination und den Glauben von Millionen von Menschen begründet. Ist die Historizität Jesu aber wirklich absolut geklärt und haben sich die Geschichten um Jesus tatsächlich ereignet? Diesen Fragen versucht das Sachbuch „Jesus? Tatsachen und Erfindungen“ auf mehr als 650 Seiten aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln nachzugehen.

In sechs Kapiteln steht nicht nur die Frage nach der historischen Person Jesus im Mittelpunkt sondern auch ob das Phänomen Jesus als „Personifizierung einer religiös-politischen oder philosophisch-spirituellen Idee“ verstanden werden kann. Am Anfang stehen dabei naturgemäß immer die Quellen. Welche Quellen liegen vor? Aus welcher Zeit stammen die Quellen, wie ist ihre Glaubwürdigkeit zu bewerten und wie stark haben neueste Forschungsergebnisse etablierte Geschichtsbilder zu Leben-Jesu-Forschung verändert?

Dabei wird besonders auf die Widersprüche zwischen den wichtigsten Quellen hingewiesen, die letztlich ein klares Bild verhindern. Zu den zahlreichen Widersprüchen gehört z.B. die Angabe zweier völlig unterschiedlicher Stammlinien für die Herkunft Jesu oder über den Ort seiner großen Rede, die im Matthäus-Evangelium auf einem Berg und bei Lukas auf einem Feld stattgefunden haben soll?

Zunächst wird versucht die Person Jesus anhand christlicher Quellen festzumachen wie den vier kanonischen Evangelien, den Schriften des Apostels Paulus aber auch anhand apokrypher Schriften, denen der Eingang in den offiziellen Schriftenkanon der Kirche nicht gelungen ist. Mit Hilfe dieser Quellen wird der Versuch unternommen, einen Lebenslauf Jesu zu rekonstruieren von seiner Geburt, Herkunft bis hin zu seinem Wirken, seinem Tod und seiner Auferstehung. Dabei treten zahlreiche Widersprüche, Ungereimtheiten und Datierungsfehler zutage, die berechtigte Zweifel an Person Jesu und der althergebrachten Auffassung von der Entstehung des Christentums aufkommen lassen.

Auch die wenigen nichtchristlichen Quellen wie z.B. bei Josephus Flavius, Sueton, Tacitus und Plinius bringen keine Beweise für die Historizität der Person Jesu, sodass in einem ersten Resümee die Vorstellung einer schriftstellerischen Fiktion der Figur Jesus immer stärkere Konturen annimmt.

Im 5. Kapitel „Die Erfindung Jesu“ zeigt auf, wie das frühe Christentum in Konkurrenz mit anderen Religionen seiner Zeit wie z.B. dem Isis-Kult, dem Dionysos-Kult oder dem Mithras-Kult viele Bilder, Ideen und Vorstellungen dieser Religionen übernommen und für das Christentum adaptiert hat. Im Zuge dieser Entwicklung nahm der Wunsch, nach einem realen historischen Religionsgründer, immer stärkere Züge an, wobei sich christliche Autoren für die Lebensgeschichte Jesu mitunter auch an den Lebensgeschichten anderer Religionsgründer, wie z.B. Buddha, Mithras, Osiris u.a. orientiert haben.

Harald Spechts Sachbuch überzeugt durch fundiertes Detailwissen zu den verschiedensten Forschungsbereichen, aus dem er unbestechlich und klar nachvollziehbar seine Schlüsse zieht. Dabei fließen die Argumente von zeitgenössischen Befürwortern und Gegnern der Historizität Jesu gleichermaßen in sein abschließendenes Urteil ein, wie die einzelnen christlichen und heidnischen Quellen. Eindrucksvoll verweist er auf die zahlreichen Ideen, Vorstellungen und Rituale, die längst Bestandteil anderer Religionen waren, bevor sie vom Christentum übernommen und für die eigenen Zwecke umgeformt worden sind.

„Jesus? Tatsachen und Erfindungen“ bietet eine aufregende Reise in die Anfänge der christlichen Religion und gibt mit dem Versuch, zu klären, ob Jesus wirklich existiert hat oder nicht, einen neuen Blick auf wesentliche Grundlagen des Christentums frei. Ein überaus empfehlenswertes Buch das allen an Religion und Geschichte interessierten Leserinnen und Lesern gerne weiterempfohlen werden kann.

Harald Specht, Jesus? Tatsachen und Erfindungen. Mit zahlr. Abb.
Leipzig: Engelsdorfer Verlag 2010, 638 Seiten, 20,50 €, ISBN 978-3-86901-898-0

 

Weiterführende Links:
Engelsdorfer Verlag: Harald Specht, Jesus? Tatsachen und Erfindungen
Wikipedia: Harald Specht

 

Andreas Markt-Huter, 06-12-2016

Bibliographie

AutorIn

Harald Specht

Buchtitel

Jesus? Tatsachen und Erfindungen

Erscheinungsort

Leipzig

Erscheinungsjahr

2010

Verlag

Engelsdorfer Verlag

Seitenzahl

638

Preis in EUR

20,50

ISBN

978-3-86901-898-0

Kurzbiographie AutorIn

Harald Specht ist Naturwissenschaftler und Autor. Neben mehr als 70 Fachpublikationen schrieb er auch Drehbücher, Filmkommentare, Romane und Sachbücher.