Kateryna Babkina, Heute fahre ich nach Morgen

Bevor die Chose mit dem echten Leben losgeht, gibt es für die Helden meist noch einen Erlebnisrausch, worin Ort, Zeit und Ziel völlig egal sind.

Kateryna Babkina schickt die Heldin Sonja in diese Zone, worin man täglich die Unschuld verliert, das Staunen nicht auf die Reihe kriegt und schwerelos über den Kontinent schwebt. Sonja ist Solala-Künstlerin, sie malt eher Icons als Ikonen, wie sie einmal sagt, und schlängelt sich durchs ukrainische Leben, das ziemlich hart sein soll, wenn man es ernst nimmt.

Mit dem Freund Louis ist sie so glücklich, dass sie es zuerst gar nicht merkt, dass er sie verlassen hat und sie schwanger ist. „Es ist nicht Liebe, sondern Rotz“ heißt die Devise, die selbst stärksten Gefühlen trotzen kann.

Sonja schwebt wie ein übrig gebliebenes Kind durch die Szenerie, übernachtet im Taubenschlag und wundert sich, dass die Männer über ihre eigenen Erektionen stolpern, wenn sie sie nackt sehen. Ihre Freundinnen haben schon ein bisschen Lebenserfahrung und wissen, wie das ist, wenn man ein Kind kriegt, es ist laut und kostet viel. Auch in der Verwandtschaft gilt Sonja als goldiges Kind, alle sind noch da, der einzige Tote ist der Großvater, der im Auto überm Monoxyd eingeschlafen ist.

Sonja fährt mit dem Lada durch die Gegend, besucht wie in Trance Waldmenschen oder „Zigeuner“, die auf diesen Titel Wert legen. Fast logischerweise kommt es zu einer Kollision mit einem Elch, der die Lada-Epoche beendet. Aber schon steht ein Arzt bereit, der sein Geschäft vorgeblich in dritter Generation betreibt, und so ein Arzt kann auch Gefühle betreuen, wenn man ihn danach fragt.

Auf der Reise ins Morgen tauchen dann noch Pu und Po auf, die als schwules Paar die Sexualität auf die leichte Schulter nehmen. Sie werden verachtet und versuchen ausgerechnet im keuschen Polen zu studieren. Sonja hakt alle Stationen easy ab, und wo sie schon einmal unterwegs ist, fährt sie noch nach Berlin und irgendwie nach Albanien, das wie die Ukraine an einem großen Sehnsuchtssee liegt und von Europa träumt. Es geht dann nur mehr darum, „die Sache mit dem ewigen Leben zu Ende zu bringen“. (138)

Kateryna Babkina erzählt mit einer sonnigen Coolness, dass man sich als bedächtiger Leser immer wieder fragt, ob man so unbeschwert sein darf. Aber bei genauerem Hinschauen sind unter den schwebenden Fügungen immer schon die Ballast-Stoffe an Bord, die bei Bedarf der Schwerkraft des Lebens zum Durchbruch verhelfen werden. Vielleicht kann man dem politischen Desaster des Landes nur mit einem Märchen beikommen, das alles in ein helles Licht rückt, und sei es nur bis morgen. – Politisch, poetisch, wundersam!

Kateryna Babkina, Heute fahre ich nach Morgen. Roman. A. d. Ukrain. von Claudia Dathe [Orig.: COH?, Charkiw 2013]
Innsbruck: Haymon Verlag 2016, 164 Seiten, 19,90 €, ISBN 978-3-7099-7227-4

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Kateryna Babkina, Heute fahre ich nach Morgen
Wikipedia: Kateryna Babkina

 

Helmuth Schönauer, 14-09-2016

Bibliographie

AutorIn

Kateryna Babkina

Buchtitel

Heute fahre ich nach Morgen

Originaltitel

Sonja

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Haymon Verlag

Übersetzung

Claudia Dathe

Seitenzahl

164

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7099-7227-4

Kurzbiographie AutorIn

Kateryna Babkina, geb. 1985 in Iwano-Frankiwsk, lebt in Kiew.