Matthias Politycki, Dies irre Geglitzer in deinem Blick

Im Volksmund wird das Geglotze, das sich die Helden an der Bar kurz vor dem Umsinken in das Antlitz schmieren, lyrischer Blick genannt. Feiner ausgedrückt handelt es sich dabei um „dies irre Geglitzer in deinem Blick“.

Matthias Politycki lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er das lyrische Handwerk beherrscht. Aus dieser Kompetenz heraus gibt er seine 111 Gedichte in eine Umrahmung, die vorne aus dem idealen Gedicht herausträufelt und hinten mit einem Kellner beschlossen wird, der alles abräumt und die Bude morgenfertig macht.

In elf Gedichtbündeln geht es um das Sinnieren an der Bar, um die Liebe, die jäh einsetzt, um Gefühle, die nach Jahren des Körpergebrauchs beim andern aussetzen, um Landschaften, die nur deshalb funkeln, weil sie so weit weg sind. Und immer wieder werden die Texte verdichtet und kommen zum Punkt, wie es nur makellose Zen-Sätze können.

Lausch der Wolke und hab / keine Erleuchtung dabei. // Lern die Oberfläche lieben. / Ohne sie wär‘ die Tiefe nur leer. // Erst wenn du nicht mehr glücklich sein willst, / wirst du zufrieden. // Denkst du nichts mehr, / denkst du alles. // Bleib sitzen und schau. / Das meiste versäumst du sowieso. (71)

Vor allem die japanische Denkweise dringt ungebremst ins lyrische Ich, auch wenn es sich um eine Enttäuschung handelt. Der Schrein ist quasi selber schuld, wenn er schon geschlossen hat, dann muss er eben ohne das lyrische Ich schweigen. (72)

Das Totenbett wird zweimal angerufen, einmal für das Ich, einmal für das Du, es ist kein Unterschied zu sehen, Totenbett bleibt Totenbett.

Völlig euphorisch ist der Gesang auf das MacBook Pro aufgebaut, indem einfach die Typenschilder eines 2006-er Geräts mit jenem aus der Gegenwart verglichen werden, allein das Benennen der Leistung ist Digitalerotik pur.

2,5 GHz Dual-Core Intel Core i5 / 4 GB DDR3-RAM 1.600 MHZ […] (116)

In seiner Art, als pures Tafelbild aufgerufen zu werden, gleicht dieses Gedicht der berühmten Aufstellung des 1. FC Nürnberg von Peter Handke. Das Gedicht wird dabei zum Endpunkt einer Bewunderungsorgie für Insider.

Matthias Politycki lässt alle gängigen Lyrik-Formen anklingen, Sonett, Haiku, Lied, Montage oder Langgedicht werden zweckgenau verwendet, wie etwa ein guter Koch für jedes Kraut sein eigenes Reindl aufstellt. Die ideale Sitzposition für die meisten Gedichte ist die Bar, hier können die Ziellosen ihre Ziele formulieren, die Enttäuschten die Enttäuschungen. Und als Erlösung bleibt immer noch der Kellner, der verlässlich Erlösung bringt, sofern man ihm noch eine Bestellung zuwinken kann. - Augenzwinkernd frech und souverän.

Matthias Politycki, Dies irre Geglitzer in deinem Blick. 111 Gedichte
Hamburg: Hoffmann und Campe 2015, 152 Seiten, 18,80 €, ISBN 978-3-455-40506-4

 

Weiterführende Links:
Hoffmann und Campe Verlag: Matthias Politycki, Dies irre Geglitzer in deinem Blick
Wikipedia: Matthias Politycki

 

Helmuth Schönauer, 15-12-2015

Bibliographie

AutorIn

Matthias Politycki

Buchtitel

Dies irre Geglitzer in deinem Blick. 111 Gedichte

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Hoffmann & Campe Verlag

Seitenzahl

152

Preis in EUR

18,80

ISBN

978-3-455-40506-4

Kurzbiographie AutorIn

Matthias Politycki, geb. 1955, lebt in Hamburg und München.

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