Michael E. Sallinger, Hain, Traube und Nacht

Gedichte können poetische Stationen sein, die sich hintereinander gereiht als besondere Reise durch eine eigentümliche  Landschaft auftun.

Miachael E. Sallinger hat die Gedichtform gewählt, um das Besondere hinter dem Brenner zu beschreiben. Dabei nimmt er ähnlich einer klassischen italienischen Reise einen kalten nördlichen Standpunkt ein, von dem aus der Süden hell und warm, fröhlich und prägnant beschrieben wird. In den Genuss dieser Poesie kommt in diesem Fall Südtirol, prägnant zusammengefasst mit den Wörtern „Hain, Traube und Nacht“.

Die besungenen Orte sind alphabetisch geordnet, wobei oft der Weg zu einem poetischen Ereignis mit gewertet wird. So gibt es also nicht nur Ambach, Glurns oder Pragser Wildsee sondern auch Am Friedhof in Sankt Pauls, Gruft in Lana oder Zwischen Andrian und Missian.

Den Hauptanteil der Themen stellen die Orte, die schon allein wegen der Toponomastik das Spezifikum Südtirols darstellen.

Franzensfeste // Tote Augen aus Stein, / von den Jahren ergraut, / sehen in das sich öffnende Land.// Dort und da / winkt aus den Grasnarben / eine knöcherne Kriegerhand. (47)

Eine zweite typische Südtiroler Spezialität ist diese Politik zwischen Kolonialisierung, Option und Paket.

Kriegerdenkmal bei Sterzing // In die Wand / gegriffelt / aus dem Justament. // Ein ewiges Feuer, / das gegen die Geschichte brennt. / Und mit ihr auch. (71)

Als poetische Gladiolen ausgelegt wirken alle diese Gedichte gleich erhaben und patriotisch, man kann dieser heroischen Gedichtform scheinbar jeden politischen Hintersinn unterjubeln.

Magnago // Das Holzbein / räusperte sich vernehmlich, / Und der Senat / lenkte ein. (74)

Option / Der durch das ganze Land gehende Riss, / den man vor den Gäschten verbarg. (86)

Als lyrische Überhöhung mit Grundstrukturen wie von Schmiedeeisen setzt Michael E. Sallinger manchmal mit Patina abgeriebene alte Begriffe ein, so kommt das Brodmesser (28) genauso aus einer Zeitgegend jenseits der Gegenwart wie der auf alt getrimmte Titel „jenseit des Brenner“, der jedes Rechtschreibprogramm mit roten Wellen unterlegt.

Das obligate Kaser-Gedicht ist verlässlich wie der Adler in der Fahne bereit gestellt: 

kaser // wie sich das leid / eine gestalt nahm / alles barmherzige abstrich / alles herzige überhaupt / und sich ein instrument griff. // da schwieg der gott sich zu.“ (65)

Interessant, dass in diesem Gedichtband auf Kaser gleich der Kalterer See folgt, wie überhaupt erst durch die Verbindung unauffälliger Solo-Gedichte der typische Südtirol-Sound entsteht.

Michael E. Sallinger, Hain, Traube und Nacht. Gedichte jenseit des Brenner.
Innsbruck: Haymon 2012. 112 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-85218-754-9.

 

Weiterführender Link:
Haymon-Verlag: Michael E. Sallinger, Hain, Traube und Nacht

 

Helmuth Schönauer, 07-01-2013

TIROLER GEGENWARTSLITERATUR 1498

Bibliographie

AutorIn

Michael E. Sallinger

Buchtitel

Hain, Traube und Nacht. Gedichte jenseit des Brenner

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Haymon-Verlag

Seitenzahl

112

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-85218-754-9

Kurzbiographie AutorIn

Michael E. Sallinger, geb. 1965, lebt seit 1983 in Innsbruck.