Neil MacGregor, Shakespeares ruhelose Welt

„Von Napoleon stammt die berühmte Feststellung, dass wir, um einen Menschen zu verstehen, die Zeit verstehen müssen, in der er oder sie zwanzig war. Dieses Buch möchte nicht einzelne Menschen verständlich machen, sondern eine ganze Generation – Menschen, die um 1560 in England geboren wurden.“ (16)

Neil MacGregor, Kunsthistoriker und Direktor des British Museum entführt seine Leserinnen und Leser in die Welt des William Shakespeare, in die Welt seines Publikums, als zum ersten Mal seit dem antiken griechischen Theater wieder Menschen aller Schichten Anteil nahmen an den Tragödien und Komödien der Dichter ihrer Stadt und damit selbst als Protagonisten der Theaterstücke interessant wurden. Anhand zahlreicher Gegenstände aus der Welt Shakespeares lässt MacGregor den Alltag der Menschen zur Zeit Shakespeare für seine Leserinnen und Leser wieder zum Leben erwachen.

Bereits in seinem Buch „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ gelang es MacGregor anhand von ausgewählten Objekten eine faszinierende Geschichte der Welt zu erzählen. Diesmal verbinden sich die ausgewählten Objekten mit den Werken des großen Dichters William Shakespeare und der Zeit von Queen Elisabeth I. und ihres Nachfolgers King James I.

Der erste Gegenstand, eine silberne Gedenkmedaille anlässlich der Weltumsegelung durch Sir Francis Drake, dem „Piraten der Königin“, zeigt gleich zu Beginn, dass die Welt durch die Entdeckungen und Erfindungen in Umbruch geraten war und sich das Bild der Menschen von der Größe und den Grenzen der Welt dramatisch geändert hatte. Während Drake mehr als 1000 Tage für seine Reise benötigt hatte, lässt Shakespeare die Protagonisten in seinem Stück „Ein Sommernachtstraum“ sagen:

„Puck: Rund um die Erde zieh‘ ich einen Gürtel / In viermal zehn Minuten“
„Oberon: Schneller als die Monde kreisen, / Können wir die Erd‘ umkreisen.“ (33)

Ein anderer Gegenstand, wie z.B. der Stratford-Kelch, weist auf die religiösen Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken und die damit verbundenen Gefahren hin, denen die Menschen in dieser Zeit der Glaubensstreitigkeiten ausgesetzt waren.

Während bei Katholiken nur den Priestern erlaubt war, aus einem edel geschmückten Kelch den Wein zu trinken, war es bei die Protestanten hingegen für alle Gläubige eine Verpflichtung den Wein zu trinken, der in einem einfachen, fast schmucklosen Kelch weitergereicht wurde. Eine Weigerung aus dem Kelch zu trinken, konnte in diesen Zeitumständen durchaus über Leben und Tod entscheiden, ähnlich wie in der Schlussszene des Hamlet, als Hamlets Mutter aus dem vergifteten Kelch trinkt und der König sie nicht warnen kann.

So lässt ein Gegenstand nach dem anderen die ruhelose Welt Shakespeares wieder vor unseren Augen erwachen, wie z.B. eine Eisengabel mit Messinggriff im italienischen Stil, ein Porträt der Tudor-Dynastie, ein Stoßdegen und Dolch vom Ufer der Themse, die Kampfausrüstung König Heinrichs V., ein Holzschnitt aus einem Buch über Irland, die Mütze eines Lehrlings, der magische Spiegel des Dr. Dee, das Modell eines verzauberten Schiffes, ein Handbuch der Königsmörder, ein Kelchglas aus Venedig, Goldmünzen aus Marrakesch, ein Hausiererkoffer, Flaggenentwürfe für Großbritannien, eine Uhr mit Glockenspiel, die Pestproklamation König Jacobs I. 1603, ein Stich eines Londoner Triumphbogens anlässlich der Krönung des Königs, eine Augenreliquie des seligen Edward Oldcorne und eine Gesamtausgabe der kompletten Werke Shakespeares.

Jeden Gegenstand verbindet MacGregor mit Shakespeareschen Geschichten und Geschichte und zeigt am Ende auch die Bedeutung Shakespeares für unsere eigene Gegenwart anhand von Geschichten aus der Gegenwart auf.

Selten wurde ein Sachbuch so fachkundig und gleichzeitig so spannend und unterhaltsam erzählt wie „Shakespeares ruhelose Welt“. Auf der gleich gehobenen Stufe zeigen sich das ausgewählte Bildmaterial und die edle Aufmachung des Buches, die das überaus empfehlenswerte Sachbuch zu einem idealen Geschenk für alle an Literatur oder Geschichte interessierten Leserinnen und Leser machen.

Neil MacGregor, Shakespeares ruhelose Welt. Übers. v. Klaus Binder [Orig. Titel: Shakespeare’s Restless World], mit 125 farb. Abb.
München: C.H. Beck Verlag 2013, 347 Seiten, 30,80 €, ISBN 978-3-406-65287-5

 

Weiterführende Links:
München: C.H. Beck Verlag: Neil MacGregor, Shakespeares ruhelose Welt
Wikipedia: Neil MacGregor

 

Andreas Markt-Huter, 24-08-2016

Bibliographie

AutorIn

Neil MacGregor

Buchtitel

Shakespeares ruhelose Welt

Originaltitel

Shakespeare’s Restless World

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

C. H. Beck Verlag

Übersetzung

Klaus Binder

Seitenzahl

347

Preis in EUR

30,80

ISBN

978-3-406-65287-5

Kurzbiographie AutorIn

Neil MacGregor ist seit 2002 Direktor des Britischen Museums. Von 1987 bis 2002 war er Direktor der National Gallery. Ab Oktober 2015 leitet er die Gründungsintendanz des Humboldt-Forums.