Peter Wehle, Die Wiener Gaunersprache

Seit Kindheitstagen träumen wir alle von einer Geheimsprache, mit der wir wichtige Dinge so verschlüsselt aussprechen können, dass uns die Freunde zuzwinkern und die „Kiwara“ blöd schauen. Die sogenannte Gaunersprache ist so eine Geheimsprache, im konkreten Fall ist sie noch zusätzlich verschlüsselt durch die Zeit, die an keiner Gaunersprache spurlos vorbeigeht.

Der legendäre Peter Wehle (Senior) hat sich seinerzeit zum sechzigsten Geburtstag eine Dissertation für das zweite Doktorat geleistet, damit er neben dem Kabarettprogramm, bei dem die anderen gelacht haben, auch selber etwas zu lachen hat. Die geniale Idee, über die Wiener Gaunersprache zu forschen, hat den Sprachforscher Wehle bald einmal an die Sprachgrenzen des Untergrunds gebracht. Das Buch ist seinerzeit ein Bestseller geworden und wird jetzt zum hundertsten Geburtstag seines Autors neu aufgelegt.

Die Wiener Gaunersprache besteht aus zwei etwa gleich großen Filetstücken, dabei folgt einer umfangreichen Situationsanalyse ein ziemlich witziges Wörterverzeichnis. Denn eines muss man der Gaunersprache lassen, sie ist durchgehend listig und fröhlich, was auf hohe Lebensintelligenz ihrer Anwender aschließen lässt.

Humorige Umschreibungen sind dann auch das Kernstück der Analyse, worin es von Zwangler (Hysteriker), Zuagmachte (Springmesser), Mistelbacher (Polizeibeamter), Trabant (Stellvertreter) oder Guglhupf (Irrenhaus) nur so wimmelt.

Die Gaunersprache schöpft aus allen Metiers und Reservoirs, das Jiddische wird genauso angezapft, wie das Proletarische der frisch Zugezogenen, die Kaffeehaussprache kann fließend in eine Paragraphenpracht übergehen, wenn genug Juristler zusammensitzen.

Peter Wehles Sprach-Schnitt geht durch die Wiener Szene der 1970er Jahre, die Kommunikation ohne Netz und Digitalisierung stürzt sich auf Insider-Begriffe, mit denen man durchs Ziel eines Gesprächs reitet. Technisch gesehen ist die Wanze in der Telefonmuschel das Höchste der Gefühle, der sogenannte internationale Verkehr findet meist zwischen den Bezirken statt.

Der Kreis der Anwender ist überschaubar und sozusagen polizeibekannt. Die Gaunersprache dient einerseits dazu, wichtige Meldungen in die Amtssprache des Verbrechens zu verpacken, andererseits ist diese Sprache eine Belohnung der Anwender, weil man durch sie im Café, im Nachtleben oder auch in der Zelle Freunde findet, die am Schicksal teilhaben können.

Aus heutiger Sicht dient das Wörterverzeichnis als konzentrierter Speicher von Kurzgeschichten, die einzelnen Begriffe erzählen nämlich jeweils eine ganze Story. Mit dieser Gaunersprache lässt sich so manch unterhaltsamer Abend gestalten, denn die exotischen Wörter verleiten dazu, den Sachverhalt in die heutige Sprache zu transferieren und neue Begriffe zu erfinden. Poetry Slam arbeitet manchmal mit dieser Gaunersprache.

Peter Wehles „Gaunersprache“ wirkt auch nach Jahrzehnten noch nach, erzählt sie doch ein Stück Sprach- und Zeitgeschichte in kabarettistischer Form.

Peter Wehle (Senior), Die Wiener Gaunersprache. [Orig.: Wien, Jugend & Volk 1977.]
Innsbruck: Haymon Verlag 2016 (= TB 54), 197 Seiten, 9,95 €, ISBN 978-3-7099-7818-4

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Peter Wehle (Senior), Die Wiener Gaunersprache
Wikipedia: Peter Wehle

 

Helmuth Schönauer, 31-05-2016

Bibliographie

AutorIn

Peter Wehle (Senior)

Buchtitel

Die Wiener Gaunersprache

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Haymon Verlag

Reihe

TB 54

Seitenzahl

197

Preis in EUR

9,95

ISBN

978-3-7099-7818-4

Kurzbiographie AutorIn

Peter Wehle, geb. 1914 in Wien, starb 1986 in Wien.