Regina Hilber, Landaufnahmen

Raffinierte Titel sind immer mehrdeutig wie die Lyrik überhaupt. Landaufnahmen können sich auf die Rezeption besinnen, wonach jemand Aufnahmen von einem Land macht und es als Kunstrichtung zwischen Selfie und Landschaftsmalerei ablegt. Die Landaufnahmen können sich aber auch auf die Gastfreundschaft eines Landes beziehen, wenn das Land jemanden willkommen heißt und aufnimmt.

Regina Hilber sortiert ihre Gedichte einerseits unter dem Lichtbogen konkreter Landschaften wie Hohe Tatra, Alpen oder Friaul ein, andererseits transformiert sie zustände und Stimmungen zu emotionalen Landschaften wie Sommer Slowenien.

Meist zoomt sich eine lyrische Kamera durch die Gegenden sorgfältig unterstützt von haptischen und sensorischen Apps. Das lyrische Individuum hält sich auffallend zurück und lässt die entsprechenden Sinnesorgane die Eindrücke bearbeiten, regelmäßig kommt ein Wir zum Vorschein und das pure Ich versteckt sich in einem heftigen Statement:

meine Heimat ist mein Körper / ihm folge ich überall hin (63)

Während des Durchstreifens der Sprachfelder tun sich allenthalben neue Bedeutungen auf, Ortschaften werden zu semantischen Verkehrsknoten, worin die abenteuerlichsten Deutungen zusammenlaufen. Manchmal fliegt dieses Rezeptionswesen wie eine Drohne übers Land und macht Aufnahmen, die sich nur in der Fremde auswerten lassen.

Gerade das Gewöhnliche wird plötzlich zu einer Sommerfrische aus der Kindheit, wenn es in einem leicht verfremdeten Ambiente geschieht.

später fliegen die Blätter vor / dem riesigen Lobbyfenster / des Grandhotels vorüber / mitfliegen / fortfliegen / wie dieses Blattwerk aus einer / Richtung weg vom selbst / hin zu einem anderen Hier / einem Hier zum Betrachten // links der volle Mond / für alle sichtbar jetzt (15)

Der Schlaf deckt das Einmalige im Allgemeinen oft grandios zu, indem es den Schlafenden egal sein kann, wo sie schlafen. Die Koordinaten des Schlafes nämlich sind die Träume.

[…] manchmal schlafen wir mit den / Elefanten die unsere Träume sind während / unsere Sehnsüchte doch nur von / vergangenen Gesten berichten // im Frachtflieger zwischen Leipzig und / Lippe brennen vierzigtausend Küken gelb / wie die gewalzten Strohballen / muss / so ein Feuer sein (43)

Regina Hilber lässt in ihren Gedichten einen bunten Reisebogen entstehen, an dessen Rändern die Leser berührt werden. Die Gegenden sind aus keinem Prospekt herausgeschnitten, sondern reise-logisch verknüpft. In diesen Gedichten geht es nicht um das Abfahren einer einmal geplanten Route, sondern um das Zusammenfügen von Landaufnahmen zu einem Rundumbild, in dem sechs Himmelsrichtungen zusammenlaufen: Hohe Tatra | Sommer Slowenien | Brandenburg | Alpen | Frosinone | Friaul.

Regina Hilber, Landaufnahmen. Gedichte
Innsbruck: Limbus Verlag 2016, 100 Seiten, 10,00 €, ISBN 978-3-99039-076-4

 

Weiterführende Links:
Limbus Verlag: Regina Hilber, Landaufnahmen
Wikipedia: Regina Hilber

 

Helmuth Schönauer, 30-05-2016

Bibliographie

AutorIn

Regina Hilber

Buchtitel

Landaufnahmen. Gedichte

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Limbus Verlag

Seitenzahl

100

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-3-99039-076-4

Kurzbiographie AutorIn

Regina Hilber, geb. 1970 in Hausleiten, wohnhaft bis 2006 in Tirol, lebt in Wien.