Rezension: Peter Teyml, Das Verschwinden des Berges

In der Literatur gibt es zwei unversehrte Gebiete, in denen selbst das elementar Gefährliche erträglich und schön sein kann: nämlich die Kindheit und die Berge.

Peter Teyml erzählt von den beiden Glücks-Revieren Kindheit und Berg, worin die Figuren in Echtzeit unauffällig glücklich und in der Retrospektive gelassen und zufrieden agieren.

So in den frühen 1950ern wird ein Geschwisterpaar, Mädchen und Bub, auf einen Bergbauernhof ausgelagert, weil deren Mutter in der Stadt schwer erkrankt ist. Sinnigerweise ist vom Mädchen außer der An- und Abreise nichts bekannt, alle Aufmerksamkeit gilt dem Franz, der in die kantige Welt des Bergbauernhofs eingewiesen wird und dabei Kultur, Politik, Religion und den Kult des Alpin-Männlichen lernt.

Der Bub wird von der Bäuerin im wahrsten Sinne des Wortes ins Gebet genommen, denn gerade wenn der Tag harmonisch enden will, gilt es noch schnelle etwas zu beten oder sonst eine fromme Andacht zu halten. Franz wird unauffällig in die Arbeitswelt eingeführt, ständig gibt es etwas zu reparieren, ein Tier irgendwo hin zu treiben oder Futter zu organisieren.

Dabei kommt in stillen Momenten „ein Glücksgefühl wie ein gesättigter Säugling im Stall“ (59) auf, wenn die Tiere fressen, verdauen und ausscheiden und eine allgemeine Harmonie aus diversen Poren und Öffnungen verströmen.

Der Bauer nimmt während der Nacht die ersten sexuellen Einschulungen am Knaben vor, als er diesen in die Kunst des „Schwanzl-Greifens“ (43) einführt.

Auch sonst ist das Leben am Hof prall ausgestopft mit Kultdingen und Gerätschaften des alltäglichen Bedarfs, die Sterbebildchen der Bäuerin sind genauso mystisch wie eine unrunde Kunde vom Tod eines Kleinkindes. Dieses aufgebahrte Kind erzeugt beim staunenden Franz einen lebendigen Tod, denn im Kerzenschein flackert das Gesicht und der Mund scheint Sätze zu bilden.

Einmal darf ein früherer Mitschüler aus der Stadt auf den Hof, damit der Franz nicht den Anschluss zur Welt verliert, in der Zwergen-Schule am Berg hat Franz nämlich eine eigentümliche Gesellschaftsfähigkeit entwickelt. Und von der Schwester ist nie die Rede, sie hat offensichtlich nichts erlebt und ihr ist nichts geschehen.

In einem Nachspann dieser Lehr- und Lernjahre im Gebirge sinnt ein inzwischen erfolgreich gewordener Architekt als alter Franz über die Kindheit nach und schließt an einen Alptraum an, der ihn immer wieder aufwachen lässt und worin nichts geschieht, außer dass alle Figuren grässlich alt geworden sind.

Peter Teyml erzählt mit vermutlich autobiographisch gefärbten Schwüngen von einer Kindheit, die den Berg des Lebens unbekümmert in Angriff nimmt, von einer naiven Welt, die in der Retrospektive durchaus politische und kulturelle Fallstricke erkennen lässt, und von der großen Gnade der versöhnlichen Erinnerung.

Wenn man die Erinnerung hinkriegt, lassen sich darin Verwundungen fast schmerzfrei darstellen. – Eine gnädige Darstellung oft gnadenloser Zustände im Gebirge.

Peter Teyml, Das Verschwinden des Berges.
Innsbruck: TAK 2011. 101 Seiten. EUR 19,-. ISBN 978-3-900888-50-3.

 

Weiterführender Link:
TAK-Verlag: Peter Teyml, Das Verschwinden des Berges

 

Helmuth Schönauer, 20-02-2012

Bibliographie

AutorIn

Peter Teyml

Buchtitel

Das Verschwinden des Berges

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2011

Verlag

TAK

Seitenzahl

101

Preis in EUR

19

ISBN

978-3-900888-50-3

Kurzbiographie AutorIn

Peter Teyml, geb. 1943 in Hall, lebt in Hall.