Simon Konttas, Bagatellen

Eine Bagatelle in der Musik ist letztlich etwas so Mickriges, dass es sich gar nicht lohnt, die Instrumente auszupacken. Im Strafrecht ist eine Bagatelle etwas, was nicht der Mühe wert ist, einem Verfahren zugeführt zu werden.

Simon Konttas reizt mit seinen literarischen Bagatellen jene Schmerzgrenze aus, bis zu der die Protagonisten zwar ordentlich leiden, aber ihr Schmerz noch nicht ausreichend tief für einen großen Roman wütet. So bringen die siebzehn Geschichten die Helden zwar an die Grenze des Wahnsinns, aber die Deeskalation geschieht schließlich, indem der Erzählsack österreichisch zugemacht und der Konflikt somit beendet wird.

In jedem einzelnen Fall ist offen, wer die Bagatelle-Reißleine zieht. Ist es der Autor, der genug hat vom eigenen Erzählwerk und an der Bagatellgrenze abbricht? Sind es die Protagonisten, die letztlich während des Stückes genug haben und mit oder ohne Suizid den Fall beenden? Ist es gar der Leser, der noch vor dem geplanten Ende die Erzählung wegen Bagatelle-Gefahr abbricht und zur nächsten blättert?

Letztlich sind es Fragen der Wertvorstellungen, was ist wichtig, was ist ein Schicksal, was ist Einbildung und was Trotz, die diese Erzählungen so einzigartig und aufregend machen. Dabei lassen sich die einzelnen Partikel bestens nacherzählen, weil die Figuren oft wie in einem Kammerstück ohne Ausweg kunstvoll aufgestellt sind.

Nach dem Tod des Vaters erschrickt die Tochter, dass sie jetzt noch mindestens dreißig Jahre leben muss, um ebenfalls sterben zu können.

In einer Landgemeinde predigt sich der Pastor wieder einmal um Kopf und Kragen, während sein Enkel unauffällig in der Gläubigen-Schar sitzt und darüber nachdenkt, wie er zu einer Freundin kommt, die ein Studienkollege schon hat.
In einer Messi-Wohnung bringt ein Vater seine sporadisch vorbeischauende Tochter in Rage.

Zwei Cousins lassen sich im Probebetrieb eines Gespräches über ihre Frauen aus, und plötzlich wird aus dem Gespräch ein Drama.

Ein Geschwisterpaar zerfleischt sich, was in der Hauptsache an der prekären Lebensform des Bruders als Kolumnist liegt und weniger an der Schwester, die als verschrobene Bibliothekarin arbeitet.

Diese Fälle sind in ihrer Alltäglichkeit beunruhigend, die Konflikte liegen schwer über dem jeweiligen Ambiente, das sich die Helden zur Vertuschung ihrer Seelenlage ausgedacht haben. Und völlig aus dem Ruder geraten die Szenen immer, wenn sich jemand dagegenstemmen will. So dreht eine pädagogische Zugeh-Frau völlig durch, als das depperte Kind nicht einmal eine schlichte Bildergeschichte erklären kann. (53) Nach so einem Niederschiss bleibt für das Kind nur mehr die Rettung, das Fenster zu öffnen und sich hinaus … aber es ist ja eine Bagatelle, weshalb kurz vor der Lösung abgebrochen ist.

Simon Konttas Bagatellen haben etwas von der lakonischen Ausweglosigkeit, wie sie sonst beim Großmeister des kalten Erzählens, bei Alexander Kluge, aus den Zeilen sintert.

Simon Konttas, Bagatellen. Erzählungen
Klagenfurt: Sisyphus Verlag 2016, 281 Seiten, 17,30 €, ISBN 978-3-903125-01-8

 

Weiterführende Links:
Sisyphus Verlag: Simon Konttas, Bagatellen
Literaturhaus Wien: Simon Konttas

 

Helmuth Schönauer, 11-10-2016

Bibliographie

AutorIn

Simon Konttas

Buchtitel

Bagatellen. Erzählungen

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Sisyphus Verlag

Seitenzahl

281

Preis in EUR

17,30

ISBN

978-3-903125-01-8

Kurzbiographie AutorIn

Simon Konttas, geb. 1984 in Helsinki, lebt in Wien und Baden.