Thankmar von Münchhausen, 72 Tage

„Der bewaffnete Aufstand, der unter der Bezeichnung »Pariser Kommune« in die Geschichte der Revolutionen eingegangen ist, dauerte 72 Tage: vom 18. März bis zum 28. Mai 1871. Es war die letzte revolutionäre Bewegung in Paris nach der Französischen Revolution von 1789, der Juli-Revolution 1830 und der Revolution im Februar und Juni 1848.“ (S. 7)

Der Aufstand der Pariser Kommune im Jahr 1871 wird den meisten deutschsprachigen Geschichtsbüchern nur kurz gestreift, als hieße es die Geister der Revolution der Proletarier erst gar nicht zu wecken, die vor fast 150 Jahren mit brachialer Gewalt niedergeschlagen worden sind. Thankmar von Münchhausen lieferte nun mit seiner Monographie eine detaillierte Geschichte der Ereignisse rund um den Aufstand der Pariser Kommune.

In dreizehn Kapiteln werden die Voraussetzung, Ursachen und der Weg zum Aufstand der Pariser Kommune und schließlich seiner blutigen Niederschlagung detailliert nachgezeichnet. Welche Verantwortung der von ständischen Vorstellungen geleiteten Stadtplanung für die Zunahme der sozialen Spannungen in der Pariser Arbeiterklasse getragen hat, wird im Kapitel „Geteilte Stadt“ erläutert. Die Modernisierung der Stadt zu Beginn der 1860er Jahre betrifft die ärmsten Bevölkerungsschichten am stärksten und zieht eine Art Demarkationslinie zwischen Reich und Arm durch Paris.

Paris wird zur Industriestadt mit ihren zahlreichen Fabriken und ihrer zunehmenden Schar an Handwerkern und Arbeitern inmitten der Stadt. Die sozialen Spannungen, die zunehmende politische Unzufriedenheit und die demütigende Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870 verstärkte die schon länger bestehende revolutionäre Stimmung in den Kommunen. Mit der Belagerung von Paris durch deutsche Truppen entwickelte sich die Nationalgarde mit einer Stärke von 360.000 Mann, mit einer Mehrheit aus Arbeitern und Arbeitslosen, zur stärksten politischen Kraft in Paris, von der sich die französische Regierung mehr bedroht als beschützt gefühlt hat.

Nach der endgültigen Niederlage des französischen Heeres wird die Nationalgarde in Paris zur politischen Gefahr, vor allem nachdem aufgrund von Schwierigkeiten bei der Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln, die Disziplin der bewaffneten Gardisten zunehmend auflösen. Nach der Abdankung Kaiser Napoleons III. und der Wahl zur Nationalversammlung vom 8. Februar gingen die konservativen Kräfte, die nun fast 2/3 der Abgeordneten stellten, massiv gestärkt aus hervor. Im starken Gegensatz dazu standen die vor allem aus den unteren Schichten kommenden Pariser Abgeordneten und der Pariser Gemeinderat.

„Diese Volksvertretung wirkte wie ein großer Adelsverband …“
(Ein reaktionäres Parlament, S. 120)

Schlecht geplante Aktionen wie der Versuch der Armee die Kanonen der Nationalgarde vom Montmartre abzutransportieren schlagen fehl und heizen die Stimmung in der Bevölkerung zunehmend auf. Reguläre Soldaten, die sich weigern den Befehl General Lecomtes auszuführen und auf die Bevölkerung zu schießen, verbrüdern sich mit den Aufständischen. Schließlich kommt es zu Hinrichtung der Generäle Lecomte undThomas.

Der französische Staats- und Regierungschef Adolphe Thiers hatte den Plan gefasst die Hauptstadt Paris militärisch niederzuwerfen und aus diesem Grund die Truppen nach Versailles zurückgezogen, um diese neu zu ordnen und zu stärken. Die Rückeroberung der Stadt durch die hundertdreißigtausend schwerbewaffneten Regierungstruppen erfolgte mit rücksichtsloser Gewalt und hatte mehr Tote zur Folge als bewaffnete Kämpfer auf Seiten der Kommune waren.

„72 Tage. Die Pariser Kommune 1871“ besticht durch die detaillierte Darstellung des Verlaufs des Aufstandes sowie dessen Niederschlagung. Dabei kommt auch der Schilderung der politischen Ereignisse, der letzten Tage des deutsch-französischen Krieges sowie der unmittelbaren Ursachen für den Aufstand in der Pariser Kommune der für ein richtiges Verständnis angemessene Umfang zu.

Auch wenn in der Darstellung manchmal der große Faden der Ereignisse in der Fülle an Details aus den Augen gerät und die meist nüchterne und distanzierte Darstellung immer wieder durch die Wiedergabe von Bewertungen hauptsächlich von Gegnern des Aufstandes durchbrochen wird, gelingt es Thankmar von Münchhausen ein im deutschsprachigen Raum wenig beachtetes Stück Geschichte lebendig werden zu lassen.

Eine überaus spannende und detailreiche Schilderung des Aufstands der Pariser Kommune im Jahr 1871, das durch Darstellung des politischen und sozialen Umfelds sowie durch die Dramaturgie der Ereignisse zu überzeugen weiß.

Thankmar von Münchhausen, 72 Tage. Die Pariser Kommune 1871 - die erste "Diktatur des Proletariats"
München: Deutsche Verlags-Anstalt 2015, 528 Seiten, 25,70 €, ISBN 978-3-421-04440-2

 

Weiterführende Links:
Deutsche Verlags-Anstalt: Thankmar von Münchhausen
Wikipedia: Thankmar von Münchhausen

 

Andreas Markt-Huter, 11-04-2017

Bibliographie

AutorIn

Thankmar von Münchhausen

Buchtitel

2 Tage. Die Pariser Kommune 1871 - die erste Diktatur des Proletariats

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Deutsche Verlags-Anstalt

Seitenzahl

528

Preis in EUR

25,70

ISBN

978-3-421-04440-2

Kurzbiographie AutorIn

Thankmar Freiherr von Münchhausen hat jahrzehntelang in Paris gelebt, wo er zwischen 1976 und 1998 als politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung tätig war. Er hat mehrere Bücher zur Geschichte Frankreichs veröffentlicht.