Waltraud Mittich, Du bist immer auch das Gerede über dich

Wie kann man das Tabu um eine historische Person aufbrechen, ohne diese Person nicht gleich wieder andersrum zu zerbrechen?

Waltraud Mittich versucht den in der öffentlichen Versenkung verschwundenen Widerstandskämpfer Hans Egarter zumindest in seinen Grundzügen ins öffentliche Bewusstsein zu rücken.

Zu diesem Zweck wählt sie den Sagen-Ton, das heißt, die politischen Fakten werden einer Poesie des Erzählens und Erinnerns gegenübergestellt, wie ja auch die Saligen Fräulein politische Botschaften verkünden, freilich im Vokabular der zeitlichen Ferne und Versteinerung.

Als äußere Fassung des Hans Egarter wird erzählt, wie plötzlich die Monarchie verschwunden ist und der 1909 Geborene als Jugendlicher den Boden unter den Füssen verloren hat, wie die Absicht, Priester zu werden, nicht aufgegangen ist, wie sich Egarter anlässlich der Optionsvorbereitung auf die Seite der Dableiber geschlagen und den Andreas-Hofer-Bund mitbegründet hat.

Als Höhepunkt dieses politischen Lebens gilt der Untergrundkampf gegen die Nazis. Und nach dem Krieg geht es wohl schon steil bergab, „das Land“ verzeiht Egarter nicht, dass er Nazis öffentlich genannt und angezeigt hat. Das Ende ist dann Journalismus bei den Dolomiten und Suff, wobei man ihm noch die Folie der Homosexualität überstülpt, das gesellschaftliche Todesurteil der damaligen Zeit. Als Egarter 1966 verdrossen stirbt, hat ihn die Öffentlichkeit schon längst vergessen und tabuisiert, dabei war er immerhin maßgeblich an der Gründung der Südtiroler Einheitspartei beteiligt.

Diese äußeren Stationen eines unauffälligen Helden unterlegt Waltraud Mittich mit verschiedenen inneren Zeugnissen, Briefen, Lektüreaufzeichnungen und Bildern der politischen Hagiographie.

Ich war kaisertreu, österreichtreu und gottestreu, was ich sonst noch hätte sein können, hab ich in der Askese bewältigt. (77)

Diesem patriotischen Bekenntnis Egarters wird an anderer Stelle das Zitat eines sogenannten Weggefährten gegenübergestellt: „Auf ihn ist oft wenig Verlass. Er ist ein Ehrgeizling, ein Wichtigtuer, Schlendrian. Schlampig.“ (85)

Die Autorin lässt diese Sichtweisen auf einander zuströmen nach dem Motto des Buches: Du bist immer auch das Gerede über dich. Dabei stellt die Biographin immer auch ihre Erzählweise und Sichtweise in Frage, denn es ist nur ein kleiner Zeitspiegel, den wir uns vorhalten können, der lange Atem der Geschichte bleibt unerzählbar.

So entsteht dann letztlich so etwas wie Würde, die dem verschollenen Widerständler entgegengebracht wird. Und wir Leser ahnen, dass es viel Glück braucht im Leben, um auf der so genannten richtigen Seite zu stehen, die im Glanze der Öffentlichkeit scheinbar unsterblich wirkt. Denn die Menschen von der Schattseite kommen nur ganz selten ins Licht.

Waltraud Mittichs „Prosa“ über den Widerständler ist ein lichtvoller Augenblick der Erzählkunst.

Waltraud Mittich, Du bist immer auch das Gerede über dich. Annäherungen an einen Widerständler. Prosa.
Bozen: Edition Raetia 2012, 128 Seiten, EUR 10,-. ISBN 978-88-7283-409-1

 

Weiterführender Link:
Edition Raetia: Waltraud Mittich, Du bist immer auch das Gerede über dich

 

Helmuth Schönauer, 06-06-2012

Bibliographie

AutorIn

Waltraud Mittich

Buchtitel

Du bist immer auch das Gerede über dich. Annäherungen an einen Widerständler.

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2012

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

128

Preis in EUR

10,00

ISBN

978-88-7283-409-1

Kurzbiographie AutorIn

Waltraud Mittich, geb. 1946 in Bad Ischl, lebt in Bruneck.