Willi Pechtl, Im Tal leben

Für Soziologen und Geografen ist das Tal etwas vom schönsten, was einem als Wissenschaftler passieren kann. Ein Tal ist ordentlich im Gelände eingegraben, es gibt ein Oben und Unten, die Entfernungen sind überschaubar, die Soziotope innig.

Willi Pechtl rückt dieser scheinbaren Ordnung des Pitztals mit einer kreativen Chaos-Methode zu Leibe, er nennt es längs und quer, wie sonst die Muskelfasern bei Säugetieren und Menschen bezeichnet werden. Die Hauptquellen für das „Porträt“ des Tales als Lebensraum sind Erzählungen und Bilder.

Selbstverständlich gibt es zu Beginn einen fundierten Überblick über die Besonderheiten des Pitztals, so wie es am Schluss eine genaue Quellendarstellung gibt. Der Alpenforscher Werner Bätzing weist auf vier Besonderheiten hin, die die Einheimischen geprägt haben, nämlich die genaue Natur- und Umweltbeobachtung, die ausgelassenen Bräuche, wenn man den Winter überlebt hat, die Auseinandersetzung mit der Oberschicht im frühen Tourismus und schließlich das traumatische Erleben des Faschismus.

Willi Pechtl greift diesen Faschismus in seiner Einstimmung auf die Erzählungen auf, indem er hervorhebt, dass eine Diskussion innerhalb des Tales für Generationen nicht möglich ist, weil die Geschehnisse quer durch die Familien gehen und zudem eine adäquate „Aufarbeitungssprache“ fehlt.

Aber auch sonst ist nicht nur heile Welt über die Seiten gespannt, immer wieder müssen Menschen das Tal verlassen, weil es nichts zu beißen gibt, draußen in der Welt berichtet man lange Zeit vom Tal mit den Eisbergen und nicht von den Menschen. Der Fremdenverkehr hat schließlich nicht nur Wohlstand gebracht, wie das Beispiel eines Hoteliers zeigt, dem nach der Bankenblase die Geldinstitute seinen Betrieb in Konkurs geschickt haben. Selbst dass sich das Tal in vergangenen Jahrhunderten nicht einmal eine eigene Herrschaft hat leisten können und von der Kirche verwaltet worden ist, zeigt, dass man das Pitztal lange ohne Menschen auf der Landkarte verfestigt hat.

Natürlich stechen die Bilder in erster Linie durch den starken Naturbezug ins Auge, die diversen Maler haben jeweils Bergmotive und romanische Motive für ihre Bilder gewählt, während es der Zufallsfotografie anheim gefallen ist, die Armut, den Alltag, und das Graue nicht nur des Grauviehs darzustellen.

In der Bildersammlung wird ungeschönt aufgetischt: die technische Erschließung, Masten für Lifte und Strom, Fahrzeuge, das Ausufern der Flurverwüstung durch Neubauten. Aber es sind auch unverwechselbare Solitäre zu finden, vom bunten Gasthof über architektonische Spitzfindigkeiten bis hin zum heimischen M-Preis, der sich auch im Pitztal eine eigene Architektur geleistet hat.

Willi Pechtl stellt ein Tal vor, das er kennt und liebt, er hat ein feines Ohr für die Untertöne in den Geschichten und ist im Zweifelsfalle immer auf Seite der Einheimischen, wiewohl diese manchmal nicht nur den großen Überblick haben. Viele dieser Narrative sind das Einzige, was von den inzwischen verstorbenen Erzählerinnen und Erzählern bleibt. So entwickelt der Titel „Im Tal leben“ einen Zug zur Unsterblichkeit.

Willi Pechtl, Im Tal leben. Das Pitztal längs und quer
Innsbruck: Studia Universitätsverlag 2015, 351 Seiten, 39,00 €, ISBN 978-3-903030-11-4

 

Weiterführender Link:
Studia Verlag: Willi Pechtl, Im Tal leben

 

Helmuth Schönauer, 11-12-2015

Bibliographie

AutorIn

Willi Pechtl

Buchtitel

Im Tal leben. Das Pitztal längs und quer

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Studia Universitätsverlag

Seitenzahl

351

Preis in EUR

39,00

ISBN

978-3-903030-11-4

Kurzbiographie AutorIn

Willi Pechtl, geb. 1951 im Pitztal, lebt in Strad bei Tarrenz.