Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamp, geister. teufel. fromme mädchen

Jeder Ort besteht neben seiner Verankerung im GPS aus guten Geschichten, die ihn bei jedem Wiedererzählen noch einmaliger machen.

Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamp hat sich den reichen Sagenschatz rund um die Silberstadt Schwaz zur Brust genommen und für ein Buch aufgearbeitet. Sagen müssen nämlich wie jeder Datenträger ständig umgespult und umkopiert werden, will man ihre Strahlkraft erhalten.

Die Schwazer Sagenkultur wimmelt natürlich von Elementen der Montanistik und ist voller Edelmetall. Ausgestorbene Gerätschaften klammern sich an die Hände der Bergleute und werden lebendig. An allen Ecken und Kanten schimmert und glitzert es, die unterirdische Welt protzt mit wertvollem Geäder, ehe dann unvermutet Wasser einstürzt.

Die Geschichten sind in jener Halbwelt angesiedelt, in der man zwischen Arbeit und Ausfahrt die Sinnesorgane schon vorgeschärft hat, während der Kopf noch einer anderen Geschichte nachhängt. So kommt es zu tollkühnen Begegnungen mit sich selbst im Fels, Flüche werden in die Felswand geschleudert und ganze Waldstriche verhext. An jeder Biegung kann ein Kasermandl auftreten und um einen Obolus bitten.

In den wundersamen Geschichten werden Gründungsmythen vorgestellt, wenn etwa Georgenberg logischerweise aus genau dieser Felsstelle wachsen muss, geographische Besonderheiten wuchern zu einer geologischen Blase aus, wie etwa das Vomper Loch, und Bergzwerge zeigen als Wiedergänger von ehemaligen Unglücksraben, wer wirklich Herr im Hause Bergwerk ist.

Mit Moral wird nicht gespart, wenn die Reichen letztlich doch auf die Schnauze fallen, wenn sich gefallene Mädchen arglistig erheben und eine eigene Schönheit entwickeln, oder wenn die Betstuhl-Geister tatsächlich mit den Sünden beim Fenster hinausfahren, sobald die Reue des Betenden ernst gemeint ist.

Und der Schwazer Menschenschlag gilt den Tirolern seit Jahrhunderten als doppelbödig, weil er den Erzählungen jenen ironischen Dreh verpasst, der am Schluss in Gelächter mündet. Das schönste Beispiel dafür ist der Rotzmacher, der nichts anderes im Sinn hat, als an einer Stelle mit Zugluft zu stehen und zu schauen, ob sich wohl alle bekreuzigen. Wer das nicht tut, dem macht er einen ordentlichen Rotz, der ihm noch tagelang aus der Nase hängt.

Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamp hat die Sagen ohne Ansehen von Stand, Person und Glaubwürdigkeit gesammelt. Auf diesem Förderband, das Richtung Mythologie läuft, tummelt sich alles, was zu Mehrdeutigkeit oder übersinnlicher Logik fähig ist. Beim Lesen entsteht bald einmal jener Sound, bei dem die Zeit keine Rolle mehr spielt, weil alles vor Jahrhunderten und heute gleichzeitig passiert.

Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamp, geister. teufel. fromme mädchen. Mythen, Sagen & Legenden aus Schwaz in Tirol
Wattens: Berenkamp Verlag 2016, 115 Seiten, 16,90 €, ISBN 978-3-85093-171-7

 

Weiterführender Link:
Berenkamp Verlag: Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamp, geister. teufel. fromme mädchen

 

Helmuth Schönauer, 28-09-2016

Bibliographie

AutorIn

Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamp

Buchtitel

geister. teufel. fromme mädchen. Mythen, Sagen & Legenden aus Schwaz in Tirol

Erscheinungsort

Wattens

Erscheinungsjahr

2016

Verlag

Berenkamp Verlag

Seitenzahl

115

Preis in EUR

16,90

ISBN

978-3-85093-171-7

Kurzbiographie AutorIn

Wolfgang Ingenhaeff-Berenkamp, geb. 1947in Innsbruck, lebt in Innsbruck.