Bettina Obrecht, Plötzlich Schwestern!
„Wenn man Geschwister hat, muss man offenbar immer so tun, als würden die nerven, während man sie in Wahrheit richtig klasse findet. Er wäre für mich mal beruhigend gewesen zu wissen, dass Geschwister wirklich nur nerven. Dann hätte ich mich gefreut, dass ich ein Einzelkind bin.“ (5)
„Plötzlich Schwestern“ erzählt die Geschichte einer sogenannten Patchwork-Familie, den Schwierigkeiten zweier Mädchen sich in dem neuen Umfeld zurecht zu finden, den Abneigungen und Gehässigkeiten aber auch den Kränkungen und der Verletzlichkeit, die ein Trennung von Eltern mit sich bringt. Erzählt wird die Geschichte abwechselnd aus der Sicht der beiden Kinder Mia und Kelly.
Mia ist die ältere der beiden „neuen Geschwister“ und seit sich ihr Vater Steffen und seine neue Freundin Colette entschlossen haben, zusammen zu leben, ist nichts mehr in ihrem Leben wie es früher war. Aber auch Kelly leidet sehr unter den neuen Verhältnissen, musste sie doch ihre Schule und ihre Umgebung wechseln und kann mit ihren alten Freundinnen nur noch per SMS kommunizieren.
Die beiden Mädchen mit den recht unterschiedlichen Charakteren fällt es schwer sich mit den neuen Verhältnissen abzufinden. Beide vermissen ihre beiden anderen Elternteile, fühlen sich zurückgesetzt und nicht wirklich ernst genommen. Vor allem aber zwischen Mia und Kelly entsteht recht schnell ein Konkurrenzverhältnis. Kelly fühlt sich in ihrer neuen Schule wie eine Fremde, die niemand leiden mag. Außerdem gibt sie Mia die Schuld, dass sie ihren geliebten Kater Judo nicht behalten durfte, nur weil Mia eine Katzenhaarallergie hat.
Ich gehöre nirgendwo mehr hin, mir gehört gar nichts mehr. Mia und Steffen haben mir alles gestohlen, mein ganzes Leben. Tränen treten mir in die Augen, und das springe ich schnell auf, schüttle mich sogar trotzig wie ein nasser Hund … (48)
Aber auch Mia fühlt sich durch die ablehnende Art Kelly verunsichert und unwohl. Sie wird eifersüchtig als ihre beste Freundin Fatma ohne sie Kelly durch die Stadt führt und fast nur noch Zeit mit ihr verbringt und ärgert sich, weil sich Kelly wegen ihres Schulfreundes Leon in der Schule lustig über sie macht.
Es ist Leon peinlich, wenn Kelly so doofe Sachen über uns erzählt. Ich kann mir schon denken, was sie da redet. Dass Leon und ich miteinander gehen und uns küssen und so einen Blödsinn. (72f)
Als Mia herausfindet, dass Kelly für einen neuen MP3-Player Geld von ihr und Steffen stiehlt, flüchtet Kelly zu ihrem Vater.
Ganz schnörkellos und ohne erhobenen Zeigefinger erzählt Bettina Obrecht aus der Sicht zweier Mädchen, wie schwer es für Kinder ist, wenn sich Erwachsene für ein gemeinsames Leben mit einem neuen Partner entscheiden. Während für die Erwachsenen die freie Wahl und Liebe im Vordergrund erweist sich Veränderung für die Kinder als viel radikaler. Neben meist fremden Menschen in der unmittelbaren Lebenswelt heißt das nicht selten auch, eine gewohnte Umgebung und bestehende Freundschaften aufgeben zu müssen.
Anhand ihres Blickwinkels auf beide Protagonistinnen gelingt es Bettina Obrecht die Leserinnen und Leser direkt in das Seelenleben der betroffenen Mädchen blicken zu lassen und damit Verständnis für deren nach außen hin mitunter merkwürdiges Verhalten zu erzeugen.
Wie im richtigen Leben lässt die Autorin die Geschichte offen, nicht jedoch ohne einen Hoffnungsschimmer zu hinterlassen, dass sich die Beziehungen mit der Zeit in eine positive Richtung verändern könnten. Ein überaus empfehlenswertes Buch, das ein Thema berührt, in dem sich viele Kinder und Jugendliche wiederfinden können.
Bettina Obrecht, Plötzlich Schwestern! Ill. v. Barbara Scholz, ab 10 Jahren
Stuttgart: Gabriel Verlag 2013, 160 Seiten, 12,30 €, ISBN 978-3-522-30342-2
Weiterführende Links:
Gabriel Verlag: Bettina Obrecht, Plötzlich Schwestern!
Wikipedia: Bettina Obrecht
Homepage: Barbara Scholz
Andreas Markt-Huter, 27-08-2014