Roberto Alajmo, Mammaherz

Buch-CoverWahnsinnige Literatur darf vor allem eines: Tabus brechen und im Reich der politischen Unkorrektheit herumwandern.

Roberto Alajmos Roman Mammaherz gehört zur wahnsinnigen Literatur im besten Sinne. Zwischen Groteske, Witz, Grauen und Kollaps hin und her gerissen, weiß der Leser nie, wie er das nächste Kapitel am besten übersteht. Denn der Text springt einem an die Gurgel und lässt nicht mehr ab von einem, sobald man das Buch aufgeschlagen hat.

Über dem sizilianischen Dorf Calcara liegt unendliche Öde, die Zeit hockt als schwerer Klotz über der Kommune, außer ein bisschen Atmung durchzuführen gibt es nichts zu tun. Der traurige Held Cosimo hat eine Fahrradwerkstatt, aber sein Bestreben ist es, mögliche Kunden weiterzuschicken und ohne jegliche Tätigkeit die Werkstatt durch die Zeit zu bringen.

Als Cosimo eines Tages nach Hause kommt, haben Unbekannte ein Kind in einem seiner Zimmer einquartiert, die Sache muss völlig diskret ablaufen, mehr weiß er nicht. Jetzt gilt es, ein Scheinleben zu führen, niemand darf wissen, dass er ein unbekanntes Kind versteckt hält. Das Kind isst kaum, verrichtet artig die Notdurft in die Schüssel und ist völlig still und apathisch.

Mittlerweile wird die Mutter von Cosimo nervös, denn der Sohn gibt sich verschlossen und seltsam. Da hilft nur brutale Mutterliebe, um den verstockten Sohn wieder in Bewegung zu bringen. Als die Mutter überraschend auftaucht, ist es um das Geheimnis geschehen. Das Kind ist entdeckt. Aber die Mutter nimmt sofort das Gesetz des Handelns in die Hand, kocht wie verrückt, versucht aus dem Kind die Identität heraus zu locken, benimmt sich wie eine notdürftig installierte Mutter, während der Sohn apathisch die Zeit totschlägt und darauf achtet, dass niemand in die Werkstatt kommt, denn Kunden bedeuten Arbeit.

Die Geschichte eskaliert nach innen, als niemand auftaucht, um das Kind abzuholen. Da es auch keine Nachrichten darüber gibt, ob eine Entführung, eine Erpressung oder Rache innerhalb eines Clans vorliegen, beschließt die Mutter, reinen Tisch zu machen. Das Kind wird erstickt und Nächtens neben einer Mauer verscharrt. Die alte Ordnung im Dorf ist wieder hergestellt, jegliche Aufregung ist vergraben.

Roberto Alajmo erzählt diese Geschichte mit größter Selbstverständlichkeit, als sei es ein normaler Vorgang, ein Kind zu verstecken und fallweise zu entsorgen. Als Leser wird man nahezu verrückt, denn darf man eine so coole Geschichte so ungeniert lesen, wo doch im allgemeinen Konsens die Kinder geachtet und geschützt werden müssen? Und was tut man, wenn man heimlich zum Helden hilft, der ja letztlich nichts anderes ist, als ein armes Schwein, das von den Umständen zu dieser Bestialität gezwungen wird? Dabei ist der Ausweg scheinbar idyllisch einfach: Wenn es dir schlecht geht, musst du etwas Gutes kochen, am besten eine Pasta oder sonst was Bodenständiges. - Verrückt aufregend!

Roberto Alajmo, Mammaherz. Roman. A. d. Ital. von Kurt Lanthaler. [Orig.: Curore di Madre, Milano 2003].
Innsbruck: Haymon 2008. 249 Seiten. 19,90. EUR. ISBN 978-3-85218-570-5.

 

Weiterführende Links:
Haymon-Verlag: Roberto Alajmo, Mammaherz

 

Helmuth Schönauer, 30-09-2008

Bibliographie

AutorIn

Roberto Alajmo

Buchtitel

Mammaherz

Originaltitel

Curore di Madre

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2008

Verlag

Haymon

Übersetzung

Kurt Lanthaler

Seitenzahl

249

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85218-570-5

Kurzbiographie AutorIn

Roberto Alajmo, geb. 1959 in Palermo, lebt in Palermo.

Kurt Lanthaler, geb. 1960 in Bozen, lebt in Berlin.