Ronald Weinberger, Geometrische Gedichte

Buch-CoverVielleicht sind Gefühle die idealen Mathematiker, denn sie arbeiten punktgenau und stringent, ein ideales Gefühl ist vielleicht zielstrebig wie eine Gerade, und wenn einmal der Wende-Punkt gekommen ist, biegt es ab im rechten Winkel.

Bei einer Dreiecks-Geschichte denken wir Leser meist an komplizierte Situationen, vorne wird etwas anderes geredet als hinten getrieben wird, es gibt Enttäuschungen und Zerwürfnisse, der Haussegen hängt bei einer saftigen Dreiecks-Geschichte meist schief.

Nicht so bei Ronald Weinberger. Als Astronom kennt er die Logik des Unendlichen, das Firmament pfeift auf irdische Beziehungen und gehorcht anderen Gesetzen. So ist es kein Wunder, dass sein Gedicht über die Dreiecks-Geschichte etwas vom Harmonischsten und Geradlinigsten ist, was sich gerade noch denken lässt.

Das Gedicht ist naturgemäß als Dreieck angelegt, wir Gefühls-Kinder entdecken darin das Geo-Dreieck aus der Schulzeit und haben schon beim Anblick dieser geometrischen Form unendliche Erinnerungen. In die Form eingebrannt sind seltsame Fügungen, worin Katheten reden, sich verlinken und knapp am Kotzen vorbei schrammen, die Fügungen verengen sich und strömen zurück zum Bigbang, verjüngen sich abermals und enden in einem Punkt der Unendlichkeit.

Gibt es ein geometrisches Chaos? Diese Frage drängt sich einem beim Gedicht Bunteskunter Einanderdurch auf. Hier haben die Buchstaben entweder die Schwerkraft verloren oder sie liegen von einer geheimnisvollen Magnetschiene angezogen außerhalb jeglicher Zeilenstruktur. Das Auge wird angehalten, im Chaos Ruhe zu bewahren. Und siehe, allmählich lösen sich Wörter aus dem Knäuel und wir lesen ganz auf Zoologie getrimmt: Kothunde, Fladenkuh, Misthühner, Drecktauben, Losunggämsen, Scheißekatzen. Nach Verschlingungen, die durchaus dem Gehirn oder Gedärm eines Rezipienten nachempfunden sind ergibt sich ein open end. Über Falldurch gelangt das lesende Auge zum erlösenden Schissdünn.

Im Eieruhren-Reim rinnt das Gedicht über die Engstelle in der Mitte, welche bezeichnenderweise "eng" lautet, in ein Gefäß voll von lyrischem Genuss. Ehrensache, dass man dieses Gedicht so oft umdrehen kann, wie man dazu Lust hat, und immer ist es in der Mitte eng und unten ist Genuss.

Ronald Weinberger, in seinem Hauptberuf Wissenschaftler, hat sich mit diesen Gedichten quasi selbst ins Firmament geschossen. Voller Schalk und Poesie knetet er die gängigen Formen ab und überlagert sie mit einer beeindruckenden Geometrie des höheren Sinns. An manchen Stellen bricht pure Anarchie aus den Zeilen, sofern es überhaupt noch Zeilen gibt.

Als Leser wird man sofort angesteckt von dieser Knet- und Gestaltungslust, und gerade wenn man vermutet, dass hier das absolute Chaos formuliert sei, entdeckt man wie bei einem seltsamen Rätsel die Botschaft, die sich in eine unerwartete Gedichts-Ecke verdrückt hat. Wunderbar frech und poetisch.

Ronald Weinberger, Geometrische Gedichte.
Hall in Tirol: Berenkamp 2009. 64 Seiten. EUR 14,50. ISBN 978-3-85093-916-4.

 

Weiterführender Link:
Berenkamp-Verlag

 

Helmuth Schönauer, 21-01-2009

Bibliographie

AutorIn

Ronald Weinberger

Buchtitel

Geometrische Gedichte

Erscheinungsort

Hall in Tirol

Erscheinungsjahr

2009

Verlag

Berenkamp

Seitenzahl

64

Preis in EUR

14,50

ISBN

978-3-85093-916-4

Kurzbiographie AutorIn

Ronald Weinberger, geb. 1948 in Bad Schallerbach, ist Professor am Institut für Astro- und Teilchenphysik an der Universität Innsbruck.