Claire French-Wieser, Meine verkehrte Welt

Die große Geschichte schaut meist völlig andres drein, wenn sie von gewöhnlichen Menschen nachgelebt und erlebt werden muss. So setzen die Biographien durchaus Parallelschwünge zur allgemeinen Geschichte, kurven dann aber wieder jäh ab in ein individuelles Ressort, um darin der Rolle eines Unikats gerecht zu werden.

Claire French-Wieser überschreibt die Geschichte ihres Lebens mit „meine verkehrte Welt“. Damit ist gemeint, dass ihr in jedem Lebensabschnitt die Ereignisse quer über den Weg gelaufen sind, und natürlich ist auch die australische Welt gemeint, worin sie als Antipode zum Tiroler Kosmos auf dem Kopf steht.

Claire French-Wieser erlebt ihre Inkarnation, wie sie die Zeugung augenzwinkernd beschreibt, in Steinach am Brenner, als ihr Vater, ein Südtiroler Bildhauer, und ihre Mutter aus dem bayrischen Selb auf einen Hochzeitssprung nach Bozen absteigen.

Vater geht schon früh heim ins Reich, die Familie zieht nach Selb, freilich darf Claire die Volksschule in Bozen besuchen. Aus dieser Stadt befreit sie Vater mit den Worten:

Du schaust schon richtig dumm aus. Einfach unintelligent! So kann das mit dir nicht weitergehen. (83)

Das Toben des Nationalsozialismus erlebt die Autorin in Hof und Selb anhand von kleinen Zeichen, so liegen einmal nach der Verwüstung einer Synagoge zerrissene Pergamentteile einer heiligen Schrift auf dem Gehsteig, Signal für die Jugendliche, dieser Zeit mit Vorsicht gegenüberzustehen. Freilich bleibt ihr dann der Arbeitsdienst im Tiroler Kundl nicht erspart, gegen Kriegsende gelingt ihr ein Unterschlupf am Land, bei der französischen Verwaltung in Innsbruck arbeitet sie nach Kriegsende als Dolmetscherin und hält die ganze Familie über Wasser.

Da der Vater als Optant alles verloren hat, beschließt die Familie 1951 die Auswanderung nach Australien. Auch hier ist nicht alles Butter was glänzt, oft fallen Sätze wie: „Keine Hunnen! Keine Deutschen!“

Mutter verträgt das neue Kultur-Klima nicht und stirbt wohl an Gram. Jetzt studiert Claire in Melbourne, heiratet und wird als Australierin glücklich.

Claire French-Wieser erzählt von ihrem Leben aus der Perspektive der Abgerundetheit. Die einzelnen Abschnitte ergeben einen Sinn, wiewohl sie in Echtzeit oft riskant und aus Zufall heraus gesetzt worden sind. Die Spielregeln der großen Geschichte lassen sich nicht beeinflussen, was einem zu tun übrigbleibt, ist die Einübung der kleinen Schritte, das geduldige Abfahren der Lebensstrecke, eine Kurve nach der anderen. – Ein aufschlussreiches Erlebnisdokument vor allem über die unmittelbare Nachkriegszeit in Innsbruck.

Claire French-Wieser, Meine verkehrte Welt. Von Bozen nach Australien. Vorwort von Inga Hosp. Fotos.
Bozen: Edition Raetia 2013. 283 Seiten. EUR 15,90. ISBN 978-88-7283-449-7.

 

Weiterführender Link:
Edition Raetia: Claire French-Wieser, Meine verkehrte Welt

 

Helmuth Schönauer, 30-01-2014

Bibliographie

AutorIn

Claire French-Wieser

Buchtitel

Meine verkehrte Welt. Von Bozen nach Australien

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Edition Raetia

Seitenzahl

283

Preis in EUR

15,90

ISBN

978-88-7283-449-7

Kurzbiographie AutorIn

Claire French-Wieser, geb. 1924 in Selb/Bayern, ist 1952 nach Australien ausgewandert.