Herfried Münkler, Der Große Krieg

„Der Große Krieg von 1914 bis 1918 war nicht nur die ‚Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts‘ wie ihn der amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan bezeichnet hat, sondern auch das Laboratorium, in dem fast alles entwickelt worden ist, was in den Konflikten der folgenden Jahrzehnte eine Rolle spielen sollte …“ (9)

Vor 100 Jahren begann der Große Krieg bzw. der 1. Weltkrieg der in den Augen eines Großteils der damaligen Zeitgenossen spätestens bis Weihnachten 1914 entschieden sein sollte. Stattdessen dauerte der Krieg vier Jahre und verdrängte Europa mit seinen Toten, Zerstörungen und Vermögensverlusten von der Spitze der großen Weltpolitik. Wie es dazu kam und weshalb es den europäischen Mächten nicht gelang, den Krieg zu beenden, analysiert Herfried Münkler minutiös in seinem großen Geschichtswerk „Der große Krieg“.

Herfried Münkler ist Politikwissenschaftler mit profunden historischen Kenntnissen und Sachwissen auf dem Gebiet der Militärgeschichte der sowohl die politischen Ereignisse, Strukturen und Abhängigkeiten zu analysieren weiß, als auch das Kriegsgeschehen an den Fronten damit in Verbindung zu setzen weiß. Hier richtet er seinen Blick auf das große Geschehen ohne dabei die Bedeutung einzelner Kriegsereignisse oder zentraler Protagonisten zu vernachlässigen und gleichzeitig Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Geschichte anders verlaufen hätte können.

Die Darstellung des Großen Krieges in 9 umfangreichen Kapiteln thematisiert verschiedene große Abschnitte und Zäsuren des 1. Weltkrieges. Kapitel 1 „Lange und kurze Wege in den Krieg“ beschreibt zunächst die unterschiedlichen Betrachtungsweisen in der Geschichtsschreibung des 1. Weltkriegs selbst, die auf der einen Seite die Ursachen für den Kriegsausbruch in einem über einen langen Zeitraum vorgezeichneten Weg in den Krieg sehen und daher die längere Vorgeschichte bis zum Krieg in den Mittelpunkt stellen, während die Auffassung vom sogenannten kurzen Weg, die Analyse der Kriegsursache schwerpunktmäßig mit dem Attentat in Sarajewo beginnen lässt. Münkler behält beide Sichtweisen im Auge und eröffnet damit aufregende Sichtweisen, in der vor allem die politischen Entscheidungsträger als Getriebene erscheinen, die für sich selbst nur einen geringen Handlungsspielraum ausmachen konnten.

Die Vorstellung von der Wirkmacht des Zufalls hat etwas ebenso Verführerisches wie Entsetzliches. (29)

Kapitel 2 „Auf der Suche nach der schnellen Entscheidung“ stellt die militärischen Ereignisse der ersten Monate des Kriegs in den Mittelpunkt, die nach Anfangsoffensiven im Westen zunehmend in einem Stellungskrieg münden.

Kapitel 3 „Der Sinn und Ziel des Krieges“ zeigt vor allem die Schwierigkeiten auf Seiten des Deutschen Reiches dem Krieg einen klaren Hauptfeind, ein klares Ziel und damit einen Sinn zu geben. Vielmehr gab es eine ganze Reihe von Kriegszielen, die vor allem von intellektueller Seite, in die Öffentlichkeit getragen wurden und die Teils widersprüchlich waren. Die widersprüchlichen, verschwommenen und meist ideologisch überhöhten Ziele der Kriegsführung von militärischer, politischer und kultureller Seite stellten vor allem dann als Problem heraus, wenn es darum gehen sollte, den Krieg zu beenden.

Im Kapitel 4 „Der festgefahrene Krieg“, Kapitel 5 „Entscheidungsschlachten ohne Entscheidung“ sowie Kapitel 6 „Ausweitung des Kampfes“ stehen wieder die Kriegsereignisse an den verschiedenen Fronten des 1. Weltkriegs im Zentrum der Betrachtung, ohne auf politische, historische und ideologische Analysen zu verzichten.

Kapitel 7 „Der erschöpfte Krieg“ betrachtet die Auswirkungen des Krieges auf die sogenannte „Heimatfront“ auf das Leben abseits der Front. Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges und der Handelsblockaden auf die Zivilbevölkerung, beginnende Kampfstreiks und Meutereien, aber auch gescheiterte Friedensinitiativen sind Hauptthema dieses Abschnitts.

In Kapitel 8 „Ludendorffs Vabanque und der Zusammenbruch der Mittelmächte“ wird das Ende des Weltkriegs aus militärischer und gesellschaftspolitischer Sicht beleuchtet, während das abschließenden 9 Kapitel „Der Erste Weltkrieg als politische Herausforderung“ die Folgen des Krieges wie z.B. den Untergang großer Reiche, die weltpolitische Machtverschiebung von Europa nach Amerika und Russland, die Friedensordnung als Nährboden für den 2. Weltkrieg u.a. aufzeigt. Aber auch die verschiedenen Betrachtungsweisen des 1. Weltkriegs in West-, Mittel- und Osteuropa und der unterschiedliche Stellenwert des 1. Weltkriegs im Vergleich mit dem 2. Weltkrieg werden spannend dargelegt. Ein Ausblick in die Gegenwart, mit einem Blick auf China und einer Darlegung des „Krieges als Meister der Paradoxien“ schließt das opulente Werk ab.

Herfried Münklers „Der große Krieg“ kann nicht nur ein großer Informationswert sondern auch Unterhaltungswert zugesprochen werden, wenn dieser Ausdruck für dieses Thema gestattet sei. In einer verständlichen, schönen und dennoch sachlichen Sprache gelingt es dem Autor die Leserinnen und Leser immer tiefer in die Vergangenheit zu ziehen und ihnen die Schrecken des Krieges, die Verantwortung der mächtigen Protagonisten aber auch die Stimmung dieser Zeit anschaulich zu vermitteln. Dabei verzichtet er bewusst auf Schuldzuweisungen, um die gesellschaftlichen Strukturen und die menschlichen Handlungen aufzudecken, die auf beiden Seiten zum Krieg geführt haben und ihn so lange andauern haben lassen. Ein überaus empfehlenswertes Sachbuch zum 1. Weltkrieg, das schon jetzt seinen Platz als Standardwerk eingenommen hat.

Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918, mit zahlr. Abb.
Berlin: Rowohlt Verlag 2013, 928 Seiten, 30,80 €, ISBN 978-3-87134-720-7

 

Weiterführende Links:
Rowohlt Verlag: Herfried Münkler, Der Große Krieg
Wikipedia: Herfried Münkler

 

Andreas Markt-Huter, 04-07-2014

Bibliographie

AutorIn

Herfried Münkler

Buchtitel

Der Große Krieg. Die Welt 1914-1918

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Rowohlt Verlag

Seitenzahl

928

Preis in EUR

30,80

ISBN

978-3-87134-720-7

Kurzbiographie AutorIn

Herfried Münkler, einer der renommiertesten deutschen Politikwissenschaftler und Ideenhistoriker, ist Professor an der Humboldt-Universität Berlin und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Mehrere seiner Bücher gelten mittlerweile als Standardwerke.