Giwi Margwelaschwili, Verfasser unser

„Ein Text ist zwar ein Gefängnis, aber guck mal nach, wo es löchrig wird.“ (102) Mindestens so abenteuerlich-grotesk wie der Lebenslauf Giwi Margwelaschwilis ist natürlich auch seine Literatur.

Der Autor wird seinerzeit 1946 vom sowjetischen Geheimdienst aus Berlin nach Georgien entführt, woraus er erst vierzig Jahre später wieder ausreisen darf. Mittlerweile wieder freiwillig nach Tiflis zurückgekehrt, kennt er sich in der deutschen und georgischen Literatur aus, die oft über erst einen bürokratischen Vorgang zur vollen Entfaltung kommt.

Anlässlich der Verleihung des Italo-Svevo Preises 2013 wird dieses Lesebuch präsentiert, dessen Titelgedicht die komplette Poetologie des Autors beinhaltet. In der Struktur eines Vaterunsers beten darin die Leser den Autor als Verfasserunser an, denn schließlich erschafft der Autor die Welt durch seine Poesie wie in einem Schöpfungsbericht alle sieben Tage neu.

Tatsächlich sind oft die Texte selbst die Helden, die sich verkleidet, verstümmelt oder arg aufgeputzt durch die Literaturgeschichte plagen. Die Klassiker entwickeln dabei die Fähigkeit, alle diese Eingriffe und Notoperationen an sich unbeschadet zu überstehen.

Das Heidenröslein löst in einem allzu artigen Leser eine Krise aus, als es wie immer verlangt, gebrochen zu werden. Der Leser freilich will es dieses Mal nicht brechen, was schließlich zu einer Identitätskrise des Heidenrösleins führt. Ähnlich ergeht es dem Taucher, der auf Veranlassung der Versverwertung plötzlich gerettet werden soll, was naturgemäß viele dramaturgische Umbauten nach sich zieht.

Oberste Instanz der Literatur ist die Bürokratie, die ständig an der Literatur herumpfuscht und ihr durch Über-Verwaltung arg zusetzt. Eine Planwirtschaft der Literatur mag zwar für Germanisten logisch erscheinen, würgt aber letztlich jede Literatur ab.

Auch Texte können in die innere Emigration gehen wie die Leser in einem totalitären System. In einem textlichen Schwimmbad wird empfohlen, auf die Seitenränder und nicht bedruckten Teile auszuweichen wie bei einem eleganten Seitensprung. (33) Ein lyrisches Ich entwickelt gar arge Herzbeschwerden, die sich als Herzrasen im Leser fortsetzen.

Über allem freilich schwebt diese unsichtbare Buchweltverwaltung, die nach der Methode Zack und Peng funktioniert. Alles kann von dieser Verwaltung kurzfristig gepusht und anschließend wieder abgeschossen werden. In einer Untergrund-Anleitung wird sogar die große dichterische Freiheit propagiert.

Jeder geometrisch umfunktionierte Autor kann dichterisch tun und lassen, was er will. Er kann schreiben, was er möchte, ohne vom Diktat der Verlage, der Mode, des Marktes und ähnlichem mehr abhängig zu sein. (39)

Wie bei jeder Behörde besteht der Sinn der Literaturbehörde freilich darin, die eigenen Richtlinien zu umgehen und zu konterkarieren. Ein Lesebuch voller frecher Literaturaufsätze über die Anarchie des Schreibens.

Giwi Margwelaschwili, Verfasser unser. Ein Lesebuch. Herausgegeben von Kristina Wengorz und Jörg Sundermeier.
Berlin: Verbrecher 2013. 117 Seiten. EUR 18,50. ISBN 978-3-943167-68-9.

 


Weiterführende Links:
Verbrecher Verlag: Giwi Margwelaschwili, Verfasser unser
Wikipedia: Giwi Margwelaschwili

 

Helmuth Schönauer, 17-02-2014

Bibliographie

AutorIn

Giwi Margwelaschwili

Buchtitel

Verfasser unser. Ein Lesebuch

Erscheinungsort

Berlin

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Verbrecher Verlag

Herausgeber

Kristina Wengorz / Jörg Sundermeier

Seitenzahl

117

Preis in EUR

18,50

ISBN

978-3-943167-68-9

Kurzbiographie AutorIn

Giwi Margwelaschwili, geb. 1927 in Berlin, lebt in Tiflis.