Ludwig Laher, Bitter

Das Ungeheure lässt sich nur erzählen, wenn Erzähler und Leser mit ihrem jeweiligen Wissensschatz an das Thema herangehen.

Ludwig Laher kümmert sich in seinem Roman „Bitter“ um eine hohe österreichische SS-Figur, an deren Beispiel sich der öffentliche Umgang mit der Historie herausarbeiten lässt. Gleich zu Beginn stellt Ludwig Laher das Konzept vor. Die Figur Bitter ist ein literarisches Statement, das mit den Mitteln der Fiktion, der Verkürzung und extremen Ausleuchtung arbeitet.

Diesem „Kunst“-Helden steht eine historische Figur Modell, die im Roman aus rechtlichen Gründen nie als solche angeführt wird, denn auch nach über einem halben Jahrhundert nach der Nazizeit genießen manche noch seltsamen Schutz und klagen alles, was dem Nazitum widerspricht.

Der Autor empfiehlt das Recherchieren im Netz, während man sich dem Bitter zuwendet. Und im Netz taucht dann dieser Friedrich Kranebitter auf, SS-Sturmbannführer, unter anderem Kommandeur im ukrainischen Charkow und 1944 zuständig für das „Bozner Massaker“, bei dem 23 Inhaftierte ermordet worden sind. Und nach dem Krieg bald wohl geachteter Inspektor der oberösterreichischen Brandschadenversicherung, dem bei seinem Tod 1957 der Satz nachgerufen wird:

Sein Leben war nur aufopfernde Liebe und treueste Pflichterfüllung.

Im Roman tritt eine Figur zutage, die die jeweilige Wirklichkeit geschickt für das eigene Fortkommen ausnützt. Dabei gibt es Zeiten, wo viel geschönt und poliert werden muss, dann wiederum läuft alles wie von selbst. Ludwig Laher setzt für diesen unregelmäßigen Zeitstrom einen Ich-Erzähler ein, der jeweils knapp kommentiert, für die ersten Jahrzehnte des Untergrundlebens als Nazi hat es zwei Kapitel gebraucht, jetzt beim sogenannten Umsturz braucht es oft ein ganzes Kapitel für einen einzigen Tag.

An kleinen Sequenzen wird festgemacht, wie so ein Massenmörder tickt. Als in Österreich nach der Übernahme der Macht durch die Nazis der Schwager gefoltert wird, zeigt Fritz Bitter keine Regung. „Fritz meint trocken, das habe der Schwager sich selbst zuzuschreiben.“ Bitter findet auch nichts dabei, mit dem beschlagnahmten Auto eines Rechtsanwalts herumzufahren, nach dem Krieg wird er ausgerechnet von diesem verteidigt.

Als ihm nach dem Krieg der akademische Titel aberkannt wird, verwendet er diesen zufleiß, um ein Gnadengesuch an den Bundespräsidenten zu schicken.
Dazwischen liegen „Säuberungen“, Massaker und SS-Wüten, das zwar ausführlich dokumentiert ist, nach dem Krieg aber kaum Konsequenzen hat. Denn die Öffentlichkeit zur damaligen Zeit hat kein Interesse zuzugeben, dass Österreich besonders heftige Nazi gestellt hat. Das öffentliche Desinteresse, der Zeitgeist und die stets wechselnden Argumentationsketten bewahren Bitter vor einer gerechten Strafe.

Ludwig Laher stellt eine Fasson der Figur vor, installiert mit dem Handwerk der Fiktion und ausgestattet mit dokumentarischem Erzählgeist. Die wahre Arbeit muss der Leser leisten, indem er diese Figur in seinem Lesekosmos und in seinem Leben adäquat installiert. - Eine anspruchsvolle Form des Erzählens und Lesens!

Ludwig Laher, Bitter. Roman.
Göttingen: Wallstein 2014. 238 Seiten. EUR 20,50. ISBN 978-3-8353-1387-3.

 

Weiterführende Links:
Wallstein Verlag: Ludwig Laher, Bitter
Wikipedia: Ludwig Laher

 

Helmuth Schönauer, 25-03-2014

Bibliographie

AutorIn

Ludwig Laher

Buchtitel

Bitter

Erscheinungsort

Göttingen

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Wallstein Verlag

Seitenzahl

238

Preis in EUR

20,50

ISBN

978-3-8353-1387-3

Kurzbiographie AutorIn

Ludwig Laher geb. 1955 in Linz, lebt in St. Pantaleon und Wien.