Lilian Loke, Gold in den Straßen

„Jeder lebt seine Befindlichkeiten, zu was anderem ist der Mensch gar nicht fähig.“ (303)

Lilian Loke gelingt das schier Unfassbare: als emotionsgeladener Leser entwickelt man plötzlich Mitleid mit einem Immobilien-Makler, dem das Leben mehr oder weniger selbst verschuldet zwischen den Fingern zerrinnt. Held dieses Romans vom „Gold in den Straßen“ ist der Herr Meyer, der nur ganz selten mit dem Vornamen Thomas angesprochen wird, weil er alle Freundinnen, Partner und Fans strategisch zu vergraulen weiß.

Eingewickelt ist die Handlung in eine seltsame Impotenz Meyers, er kann nicht schwimmen. Deshalb stirbt er gleich zu Beginn beinahe, als er beim Joggen in den Stadtteich plumpst. Und am Schluss löst sich seine Karriere auf, als er beim Verkauf einer Villa mit Pool bei der Besichtigung eine Wasser-Panikattacke erleidet.

Die Erfolgskurve eines Maklers scheint jener Blase zu ähneln, in der sich diese Zunft gerne bewegt. Seichte, technokratische Ausbildung, Arbeit in einer Bank und auf den blöden Satz hin, ob er ewig ein Filialleiter bleiben wolle, stürzt er sich hinein in die Frankfurter Makler-Szene. Es geht rasant aufwärts in der Lebensblase, nach jedem Deal hebt Meyer tausend Euro ab und belohnt sich mit einem frischen Anzug.

Dann stirbt plötzlich sein Vater, der Schuster-Laden in Toplage ist vorläufig wertloser Trash, auch wenn ihn der Kompagnon gerne übernehmen möchte. Noch am offenen Grab beginnt Meyer mit der Trauerarbeit, und die heißt Verkauf der Liegenschaft und Entsorgen jeglicher Erinnerungsstücke. Alles ist nämlich kalkulierbar und lässt sich in Zahlen abbilden.

Schnell dreht sich der mentale Kompass, die Geschäfte stocken, die Konkurrenten schlagen in voller Häme zurück und als Meyer einem Scharlatan aufsitzt, ist er seinen Job los. Seine Freundin verlässt ihn zeitgleich, weil sie seine snobistischen Spinnereien nicht mehr aushält. So übernachtet Meyer in der eigenen Stadt in Hotels, weil das sein Image aufpoliert. Als dann noch maßgeschneiderte Schuhe ins Haus kommen, die der ehemalige Geschäftspartner von Vater überbringt, rastet Meyer aus. Er fühlt sich von der Vergangenheit bevormundet, weil irgendwo noch seine eigenen einst vom Vater maßgefertigten Leisten herum stehen könnten. Ziemlich erbärmlich absolviert Meyer in der letzten Szene ein Scheingespräch für einen neuen Job, er wird noch viel lernen müssen, bis er wieder bei sich selber ist.

Diese Hans-im-Glück-Geschichte kann man nicht oft genug erzählen und sie ist maßgeschneidert für Banker und Immobilien-Haie, die längst ihre eigenen Leisten verloren haben. - Als Leser bleibt man nach diesem Roman auf seinen maßgeschneiderten Füßen stehen und verzichtet gerne auf maßgeschneidertes Beiwerk.

Lilian Loke, Gold in den Straßen. Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2015, 350 Seiten, 22,80 €, ISBN 978-3-455-40522-4

 

Weiterführende Links:
Hoffmann & Campe:
Wikipedia: Lilian Loke

 

Helmuth Schönauer, 31-05-2015

Bibliographie

AutorIn

Lilian Loke

Buchtitel

Gold in den Straßen

Erscheinungsort

Hamburg

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Hoffmann und Campe

Seitenzahl

350

Preis in EUR

22,80

ISBN

978-3-455-40522-4

Kurzbiographie AutorIn

Lilian Loke, geb. 1985 in München, lebt in München.