Andrea Drumbl, Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne

Die Vogelfreiheit ist ein zweischneidiges Schwert, zwar ist optisch auf den ersten Blick alles eitler Sonnenschein, aber noch vor dem Horizont sind Fallen und dunkle Wolken aufgebaut.

Andrea Drumbl wählt bewusst einen barock-komplizierten Titel, denn ihre Figuren denken die griffigen Bilder aus Kindheit und Glückskunde zu Ende und kommen dabei an den Abgrund der Schönheit. „Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne, weil die erst scheint zu schön“ führt hinein in jenes Gebiet, wo das Oberflächliche an seine Grenzen kommt und der Tiefgang von was auch immer beginnt.

Der Roman ist straff und beinahe lapidar aufgebaut. In einem Prolog wird das Schutzengelmein angerufen, das darauf vorbereitet wird, dass es bald Unerhörtes zu Ohren bekommen wird. Und tatsächlich geht es dann in den Monaten September, Oktober, November ziemlich rund, ehe im Epilog als sogenannter Mundvorrat die Sprache auf das Unaussprechliche zurückgefahren wird.

[…] nur mit ein paar Worten vorrätig im Mund, um nicht zu sagen, was nicht zu sagen ist. (106)

Die Herbstmonate in einer schwermütigen Gegend haben es in sich. Als der September nach einem Rekordhitzigen Sommer mit Nebel, Fäulniskaskaden und rachitischen Wurzelknollen einsetzt, bringen sich im Umkreis von nur wenigen Kilometern vier Menschen um. (12)

Günter springt einfach aus dem Fenster, weil ihm seine Frau Janka plötzlich als so schön erscheint, dass er sie nicht verdient.

Pjotr kann sich nicht entscheiden, ob er das Schienennetz zum Wegfahren oder für den Suizid benutzen soll. Als bodenständiger Mensch klammert er sich an die Schienen und lässt sich überfahren.

Susanna wir im Frühjahr von einem fetten schwitzenden Ding vergewaltigt und beendet die Schwangerschaft und sich selbst mit einer „Vermählungshochzeit“, indem sie ihren Puls auslaufen lässt.

Felix schließlich vernichtet das ungetrübte Verhältnis zu seiner Frau Paula, indem er mit der Kunststudentin Zoi ein Verhältnis anfängt. In selbstquälender Manier beichtet er seiner Frau tagelang dieses Ereignis und springt dann von einer Felswand.

In den Monaten nach diesem schwarzen September zeigt sich die Natur unbeeindruckt und setzt ihren Kreislauf fort. Die Hinterbliebenen freilich werden von der Vorstellung gequält, dass diese Vogelfreiheit der Suizidanten vielleicht einen Sinn haben könnte. Die Kunststudentin überlegt, ob sie nicht zu ihrem toten Lover in den Grabhügel steigen sollte. Die schöne Janka arbeitet ihre Kindheit auf, um so ihren Pjotr vielleicht zu vergessen.

Andrea Drumbls Herbstroman ist voller Schwermut, die in fast luftigen Bildern immer wieder Richtung Himmel losgelassen wird. Wenn die Hinterbliebenen, die zögernden Suizidanten oder die Figuren ferner Kindheit im Herbstgelände stehen, glaubt man dieses schwere Kärntner Summen zu hören, das an manchen Tagen die Karawanken zum Einstürzen bringen kann. Poetisch schwermütig und kindlich leicht, eine unvergessliche Mischung, mit der der Tod vielleicht überwunden werden kann.

Andrea Drumbl, Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne, weil die erste scheint zu schön. Roman.
Wien: Edition Atelier 2013. 106 Seiten. EUR 17,-. ISBN 978-3-902498-72-4.

 

Weiterführende Links:
Edition Aterlier: Andrea Drumbl, Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne
Wikipedia: Andrea Drumbl

 

Helmuth Schönauer, 26-06-2014
 

Bibliographie

AutorIn

Andrea Drumbl

Buchtitel

Die Vogelfreiheit unter einer zweiten Sonne, weil die erste scheint zu schön

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Edition Atelier

Seitenzahl

106

Preis in EUR

17,00

ISBN

978-3-902498-72-4

Kurzbiographie AutorIn

Andrea Drumbl, geb. 1976 in Lienz, lebt in Wien und Kärnten.