Kurt Drexel, Klingendes Bekenntnis zu Führer und Reich

Bücher mit Lobeshymnen reißen die regionalen Größen einem Autor meist aus der Hand und busseln ihn ab, wenn aber Unerfreuliches in einem Aufklärungsband steht, beten viele, dass der Aufklärungskelch an ihnen vorübergehen möge.

Kurt Drexel nennt seine Analyse zur Verquickung von Nazi-Politik und Nazikultur nach einem Zitat des damaligen Gauleiters Franz Hofer „Klingendes Bekenntnis zu Führer und Reich“. Und weil im Untertitel nur etwas vom Reichsgau Tirol-Vorarlberg steht, hoffen die Südtiroler wieder einmal, dass sie nicht gemeint sind.

Aber die Südtiroler haben beinahe die Hälfte der Nazi-Komponisten und Musikfunktionäre gestellt, und in Gestalt der Operationszone Alpenvorland ist das Dritte Reich dann persönlich nach Südtirol gekommen.

Die Diskussion um die Beteiligung der Musik am Naziwesen ist wie in Tirol üblich irgendwie aus heiterem Himmel losgebrochen. Anlässlich eines Booklets für eine neue CD des Südtiroler Komponisten und Gau-Tonsetzers Josef Eduard Ploner, in dem die „gewissen Jahre“ wieder einmal elegant ausgeblendet worden sind, ist plötzlich eine unerwartet ans Herz gehende Fragestellung aufgetaucht: Darf man diese Musik noch hören, spielen und verbreiten ohne sich nicht zumindest moralisch strafbar zu machen?

Diese Frage betrifft jede Dorfkapelle und jedes CD-Regal eines Musikliebhabers, und so mancher von uns staunt plötzlich, was er da für seltsame Nazisammlung im eigenen Regal stehen hat.

Die Aufbereitung des Themas fußt auf fünf nachvollziehbare sachliche Thesen (S.10):

  • Musik fungierte als Trägerin ideologischer Inhalte.
  • Die Musik wurde (wie auch andere Künste) für das (kollektive) Identitätsangebot im Gau Tirol-Vorarlberg instrumentalisiert.
  • Die Konstruktion einer tirolisch-nationalsozialistischen Identität sollte auch über die Musik vermittelt werden.
  • Diese Entwicklungen waren im Ständestaat bereits vorgeprägt.
  • In der Zeit nach 1945 wurden Kontinuitäten vielfach nicht wahrgenommen bzw. kaschiert.

In der Praxis zeigt sich dieses ideologische Konstrukt eines Musikkontinuums oft in provinziell skurrilen Anekdoten.

So hat sich im Ständestaat eine Musikertruppe, die in der Hauptsache aus komponierenden Beamten bestanden hat, zu einem Arbeitskreis Tiroler Komponisten (ATK) zusammengeschlossen. Je nach politischer Wetterlage haben sich dabei die diversen Mitglieder selbst ausgeschlossen oder zu Mitgliedern zweiter Klasse degradiert.

Im dritten Reich bemühen sich nach Auflösung des ATK die meisten um einen Anschluss an die Großmusikszene, schließlich gibt es ständig öffentliche Aufträge, indem mit öffentlichen Fanfaren, Hymnen und Signaltönen ein Nazi-Bewusstsein als öffentlicher Sound geschaffen werden soll.

Der Gauleiter macht es sich zur persönlichen Herzensangelegenheit, das nordische Tirolerlied zu fördern und Josef Eduard Ploner hilft ihm dabei nach besten Stücken.
So wie die Kompositeure vor der Nazizeit unter sich waren, sind sie es auch wieder, als der Nazi-Spuk vorbei ist, sie rehabilitieren sich gegenseitig und jeder schreibt 1945 über Nacht einen neuen Lebenslauf und die Sache hat sich.

In Kurt Drexels Studie wird dieses perverse Kontinuum unter anderem anhand der Protagonisten Emil Berlanda, Josef Eduard Ploner, Artur Kanetscheider, Karl Senn, Sepp Tanzer oder Karl Horak gezeigt.

Am hinteren Cover ist diese Verquickung zwischen Gauleitung, Reichskulturkammer, Standschützenverband oder Volksliedarchiv wie ein natürliches Organigramm aufgezeichnet, das an die Selbstverständlichkeit des Sonnensystems erinnert. Sarkastisch könnte man anhand dieser Aufstellung formulieren: Entnazifizierung bedeutet in Tirol bloß, dass die Titel ausgetauscht werden, die handelnden Personen kreisen ewig wie Planeten um sich selbst.

Die Tiroler selbst haben die Berieselung durch Nazimusik artig mitgemacht, wenn auch offensichtlich ohne spürbare Veränderung des Kulturempfindens. Gerade der antiklerikale Teil des Liedgutes ist nicht gut angekommen, umso herzlicher konnte nach dem Krieg wieder auf die alten Fassungen zurückgegriffen werden.

Michael Gaismair wurde auch von den Nazis in das Kulturprogramm implementiert, aber die Bevölkerung scheint gegenüber diesem Helden zu allen Zeiten resistent zu sein. Und das Bemühen, sogenannte Blutzeugen, also Nazis der ersten Stunde, als Kulturträger einzuführen, kann als gescheitert betrachtet werden.

Ein Kapitel widmet sich auch dem Thema Widerstand, der sich etwa dadurch zeigt, dass plötzlich subkutan ein anderer Text zum offiziellen Lied gesungen wird. So soll es in „Dableiber-Kreisen“ durchaus auch widerborstige Zeilen gegeben haben.

Stark und fest, wie unsre ew’gen Berge / stehen wir in sturmbewegter Zeit./ Wollen nicht wie willenlose Zwerge / Vor dem Götzen knien wie Sklavenleut. (261)

Das Musikwesen der Nazizeit ist unverhältnismäßig lange im Windschatten der Forschung und öffentlichen Diskussion gelegen. Im Gegenteil, die sogenannte „Normalität“ macht es noch im 21. Jahrhundert möglich, in Kramsach eine Musikschule nach dem Gau-Blasmusikanten Sepp Tanzer zu benennen. Ob diese Ehrung aus Gründen der Unwissenheit oder aus Lust auf Wiederbetätigung geschehen ist, kann nicht geklärt werden.

Überrascht sind jedenfalls alle über den Stil der jetzt ausgebrochenen Diskussion, er scheint offen, demütig und selbstkritisch zu sein. Als ob jetzt die Zeit reif wäre, „Musik und Identität im Reichsgau Tirol-Vorarlberg“ zu diskutieren.

Kurt Drexels Studie über das Musikwesen jener Zeit ist unterlegt mit Plakaten und mannigfaltigem Fotomaterial, dabei sind alle öffentlichen Plätze von entsprechend verkleideten Musikanten verstellt. Erst auf dem zweiten Blick sieht man, dass es sich um Nazis handelt, im ersten Blick sind es Bilder, die auch aus der Gegenwart stammen könnten.

Am Blick auf diese Dinge müssen wir vermutlich alle noch arbeiten, die Analyse des „Klingenden Bekenntnisses“ ist ein hilfreiches Instrument dafür.

Kurt Drexel, Klingendes Bekenntnis zu Führer und Reich. Musik und Identität im Reichsgau Tirol-Vorarlberg 1938-1945. Abbildungen.
Innsbruck: Wagner 2014, 325 Seiten, 29,90 €, ISBN 978-3-7030-0843-6.

 

Weiterführende Links:
Wagner Verlag: Kurt Drexel, Klingendes Bekenntnis zu Führer und Reich

 

Helmuth Schönauer, 05-06-2014

Bibliographie

AutorIn

Kurt Drexel

Buchtitel

Klingendes Bekenntnis zu Führer und Reich. Musik und Identität im Reichsgau Tirol-Vorarlberg 1938-1945

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Wagner Verlag

Seitenzahl

325

Preis in EUR

29,90

ISBN

978-3-7030-0843-6

Kurzbiographie AutorIn

Kurt Drexel, geb. 1954, ist Musikwissenschaftler an der Universität Innsbruck.