Ulrich Ladurner, Lampedusa

Eine Insel fordert die jeweilige Bevölkerung permanent heraus, denn obwohl man eine Insel theoretisch in Ruhe lassen könnte, wetzen sich an ihr immer Mythologien, Paradiesvorstellungen, militärische Überlegungen und touristische Übergriffe ab.

Ulrich Ladurner widmet in seinem Essay seine Aufmerksamkeit der Insel Lampedusa, zwischen Sizilien und Libyen gelegen ist dieses Eiland als sogenannte „Flüchtlingsinsel“ in aller Munde. „Was hier vor sich geht, sind keine Landungen sondern geordnete Rettungsmaßnahmen“, versucht eine Inselpolitikerin den Aufruhr in Bahnen zu lenken. (125)

Tatsächlich ist Ulrich Ladurner in den frühen neunziger Jahren noch nach Lampedusa gefahren, um für eine Reportage ein Flüchtlingsboot abzufilmen. Damals musste man wochenlang auf so ein Boot warten, während heute oft über Nacht Tausende von der Marine an Land gebracht werden.

Im Essay, basierend auf Gesprächen mit Zeitzeugen der jüngeren Gegenwart, kommt dieser „Funktionswandel“ der Insel zur Sprache. Noch vor einigen Jahren hielt Gaddafi gegen gutes Geld die Flüchtlinge Afrikas zurück, von der Route abgekommene italienische Fischer wurden als Geiseln genommen und gegen Lösegeld frei gelassen, die Gangster-Politiker Italiens erließen das Bossi-Fini-Gesetz, wonach die Flüchtlinge mit Waffengewalt abgewehrt und keinesfalls gerettet werden sollten. Europa hat einfach die Außengrenze nach Afrika verlagert und gegen Geld dort alles regeln lassen, fasst der Autor lapidar zusammen.

Dabei ist die Insel mit ihren gerade mal zwanzig Quadratkilometern immer im Fokus diverser Mächte gelegen. Die russisch/deutsche Zarin Katharina wollte sie als Stützpunkt für ihre Flotte, mitten im zweiten Weltkrieg ergaben sich auf ihr hunderte Mussolini-Soldaten quasi einem einzigen englisch-jüdischen Piloten, William Shakespeare benutze die Insel als Vorlage für seinen Sturm, und immer wieder lösen sich Booms und Flauten ab.

Lange Zeit unbesiedelt brachte der sogenannte Schwamm-Boom Schwammtaucher auf die Insel, später sind es Touristen, die in Schwärmen einfallen.
Ulrich Ladurner erzählt wie am Lagerfeuer, dabei ist seine Position klar, er lässt keinen Zweifel daran, dass er auf der Seite der Schwachen und Ausgepressten steht. Oft genügt ein einziger Blick auf die gestapelten Boote, die jeweils eine komplette Geschichte erzählen.

„Die Boote sind eine lebende Landkarte, die die Kriege und Auseinandersetzungen in Afrika abbilden.“ (58)

Italien ist hilflos überfordert und von der EU im Stich gelassen, dabei haben die Italiener das afrikanische Schicksal in den fünfziger Jahren am eigenen Leib erlebt, als sich der Süden beinahe als Ganzes aufmachen musste, um im industrialisierten Norden wenigstens das Überleben zu sichern. – Mit jedem Menschen geht eine neue Geschichte an Land.

Ulrich Ladurner, Lampedusa. Große Geschichte einer kleinen Insel.
St. Pölten: Residenz 2014. 143 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7017-3331-6

 

Weiterführende Links:
Residenz Verlag: Ulrich Ladurner, Lampedusa
Zeit-Online: Ulrich Ladurner

 

Helmuth Schönauer, 01-07-2014

Bibliographie

AutorIn

Ulrich Ladurner

Buchtitel

Lampedusa. Große Geschichte einer kleinen Insel

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Residenz Verlag

Seitenzahl

143

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7017-3331-6

Kurzbiographie AutorIn

Ulrich Ladurner, geb. 1962 in Meran, lebt in Hamburg.