Rudolf Habringer, Was wir ahnen

Sensible Menschen verlassen sich nicht so sehr auf das Sichtbare und Ausgesprochene, sie knüpfen sich auch die Aura und das Unantastbare vor, wenn sie mit anderen in Kontakt treten. Das Leben ist schließlich an manchen Tagen nichts Gewisses sondern bloß eine Ahnung von allem, was uns umgibt.

Rudolf Habringer setzt in das Euregio-Geflecht Regensburg, Linz, Krumau ein verfilztes Figurenset hinein, das wie in guten russischen Romanen als „Anhang der Hauptpersonen“ ausgewiesen ist. Als Leser fallen einem sofort die drei Hauptberufe der Figuren auf: Germanist, Psychologin, Polizist. Und einige Ehefrauen haben einen ermordeten Mann als Partner, das ist eine neue Form der Patchwork-Beziehung.

Tatsächlich sind die Figuren lose über das halbe Land verstreut, ein Germanist ist in Regensburg ermordet worden, seine Frau versucht als Psychotherapeutin wenn schon nicht den Täter, dann wenigstens das Motiv herauszufinden.

Irgendwie parallel zu dieser Konstellation ist in Linz Katharina mit einem Politiker verheiratet, der offensichtlich selbst mit Affären eingedeckt ist, während Katharina daran herumkaut, dass ihr Kind in einem Schnell-Schuss nach einer Party von einem anderen stehend im Park gezeugt wurde. Dieses Kuckuckskind hat mittlerweile selbst Recherchen angestellt und ist amtlich auf eine fremde DNA-Spur gestoßen.

Die Polizei ahnt mehr ihre Fälle auf, als dass sie diese aufklären könnte, ein schnell engagierter Privatdetektiv wird ebenfalls ermordet.

Nicht nur dass die offizielle Gesellschaft in Form der Polizei nichts aufklären kann, auch die Helden selbst sind in ihrer Verschwiegenheit, im Abtauchen und Aussitzen versunken. Einmal erzählt Katharina ihrem dementen Vater von der Affäre, die zum Kind geführt hat.

Jetzt weißt du es. Und morgen hast du es vergessen. (78)

Die Demenz wird gnädig über das Gebeichtete hinwegsehen.
Ein anderer ist ungewollt Vater geworden und macht sich dann doch auf zur Geburt im Krankenhaus. „Ich fahre meinem Kind entgegen.“ (239) Aber dann erlöst ihn auf dem Weg dorthin der Tod auf der Straße, was die Affäre seltsam grotesk beendet.

Die Psychotherapeutin erfährt immer wieder kleine Geheimnisse über ihren ermordeten Mann.

Verena ging in den Gruppenraum zurück und führte die Aufstellung zu Ende. (306)

Als Therapeutin bringt sie die Nachrichten gleich in ihrem psychologischen Werkzeugkoffer unter.

Was bleibt, ist eine aufgeklärte Gesellschaft mit Protagonisten im Wohlstand, die an die Grundfragen ihres Daseins nicht herankommen. Beziehungen werden zu geschichtslosen Konsumgütern, das Leben artet in Sitzungen aus, die Politik erledigt alles in einer geschmeidigen No-Na-Sprache.

Rudolf Habringer gräbt in weitläufigen Beziehungsschlamm die Blindgänger ehemaliger Beziehungen aus und wühlt dabei die abgesetzten Sedimente auf. Letztlich verlieren die eingetrübten Figuren jegliche Sicht und versacken im Bodenlosen. – Ein Drama voller eingesperrter, hilfloser Seelen.

Rudolf Habringer, Was wir ahnen. Roman.
Wien: Picus 2014. 310 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-7117-2007-8.

 

Weiterführende Links:
Picus Verlag: Rudolf Habringer, Was wir ahnen
Wikipedia: Rudolf Habringer

 

Helmuth Schönauer, 08-07-2014

Bibliographie

AutorIn

Rudolf Habringer

Buchtitel

Was wir ahnen

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Picus Verlag

Seitenzahl

310

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-7117-2007-8

Kurzbiographie AutorIn

Rudolf Habringer, geb. 1960 in Desselbrunn, lebt in Walding bei Linz.