Ingram Hartinger, Das verschmutzte Denken

Das Saxophon lässt auch bei offenen Augen alles in ein blaues Licht verschwinden, der Blues legt sich auf die Seele, die Landschaft schliert sich ein in herbstliche Töne, das Denken befreit sich von den irdischen Klammern angesichts der Saxophonie.

Ingram Hartinger nennt seinen „Roman“ von einem mühsam abgearbeiteten Leben als Psychomaschinist eine Saxophonie. Sein Held Joris Ebner will auf keinen Fall einen Roman und schon gar nicht sogenannte Memoiren schreiben, „indem er Unwichtiges nicht ausließ, gelang es ihm, keine Autobiographie zu schreiben.“ (247)

Das verschmutzte Denken läuft in der Hauptsache in einer freien Assoziationskette ab, die zwischendurch in völlig befreite Fügungen mündet. „Wohnen zwischen Wurzel und Wind!“ (72) Eingeklemmt ist die Figur des Psychomaschinisten Joris Ebner in eine wild gewordene psychiatrische Identität, die er sich gegen seinen Willen antut muss. Einst hat er frei studiert und ist angeheitert von der italienischen Psychiatriereform in die Krankenhausfabrik eingetreten, worin er letztlich ein Leben lang zerknirscht und zerrieben worden ist.

Die Jahre im Spital vergingen, minutiös verfiel seine Zeit. (93)

Als besondere Rache empfindet es der Psychiater, wenn er zu sogenannten Tests eingeteilt wird, wo er sein Gegenüber austesten muss, bis es ins System passt.
Auf diese vergitterten Koordinaten sind fugitive Gedanken installiert, die die reine Lehre des Systems jeweils untergraben und wie in einem unsteril gewordenen Labor zu einem verschmutzten Denken führen.

„Nichts ist Zufall, alles steht in einem Zusammenhang“ lautet denn auch die halb tröstliche, halb vernichtende Formel, mit der der Protagonist die Gedankengänge zu ordnen versucht.  „Bäum dich nicht auf, sei still und staune!“

Äußerlich umrandet wird der Held schließlich von seiner Pensionierung, zwar endet das Dienstverhältnis, aber letztlich ist die Identität als Psychiater bloß in einen neuen Rahmen gehängt worden. Innerlich umrundet und in eine unendliche Spirale versetzt wird Joris durch seine unsterbliche Liebe zu Lina, die man zu Beginn der Saxophonie in den Spitalsapparat schiebt und die sich von allem befreien kann, indem sie stirbt.

Wir sterben, egal wie, und sind tot. (260)

Die Gedankenäste sind besiedelt und benistet von Leitstrahlen der Literatur, Bourdieu, Caruso, Fried werden immer wieder herangezogen in ihrer urtümlichen Leseerfahrung während der Studentenrevolte und dem späteren Leben gegenübergestellt. Der Sieger schneidet Riemen von der Haut des anderen, peitscht damit den anderen. Diese Gewalt-Erfahrung zieht sich durch alle Reformen und Zeitgeistverschiebungen.

Am Schluss sitzt der Held vor der Waschmaschine, als ob sie sein verschmutztes Denken bearbeiten könnte, vielleicht ist er auch „nur der Literatur auf den Leim gegangen“.

Ingram Hartinger hat mit dieser Saxophonie einen aufgewühlten Weg gefunden, den Leser in den Strudel des Denkens zu ziehen ohne ihn dabei hinauszuschleudern aus dem Thema. Und gerade die straffe Außensicht auf den Helden macht diesen so sympathisch, dass man mit ihm mit zittert all seine Tage, all seine Gedanken hindurch.

Ingram Hartinger, Das verschmutzte Denken. Eine Saxophonie.
Klagenfurt: Wieser 2014. 273 Seiten. EUR 21,-. ISBN 978-3-99029-090-3.

Weiterführende Links:
Wieser Verlag: Ingram Hartinger, Das verschmutzte Denken
Wikipedia: Ingram Hartinger

 

Helmuth Schönauer, 25-08-2014

Bibliographie

AutorIn

Ingram Hartinger

Buchtitel

Das verschmutzte Denken. Eine Saxophonie

Erscheinungsort

Klagenfurt

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Wieser Verlag

Seitenzahl

273

Preis in EUR

21,00

ISBN

978-3-99029-090-3

Kurzbiographie AutorIn

Ingram Hartinger, geb. 1949 in Saalfelden, lebt in Klagenfurt.