Rudolf Kraus, ein ende ist nicht abzusehen

Lyrik liefert nicht nur einen Inhalt, den man als Gedichte bezeichnen könnte, sondern auch eine Verfahrensweise, mit der sie sich Rückschlüssen zu entziehen versucht. Es gilt so etwas wie ein Informanten-Schutz und das lyrische Redaktionsgeheimnis.

Rudolf Kraus setzt seine Texte in die Klusen zwischen den Gattungen. Was in Ritzen eines lyrischen Geflechts entsprießt ist nicht Lyrik und nicht Epik, wie Beppo Beyerl im Vorwort feststellt, es sind Intarsien des ertappten Augenblicks.

Die Sprache kommt sich selber auf die Schliche. Und sie sagt gar nicht auweh, wenn sie dabei erwischt wird.

Im aktuellen Fall tragen die Sprachminiaturen wie verlässliche Sendungen Überschriften:

mehr genitive / wortgewand / die bozner miniaturen / nachtschatten apokalypse.

Diese vier Kapitel sind auch das Programm, es geht um sprachliche Zustände, um die Gestalt des Wortes, um Situationen, die eine Stadt über das lyrische Ich zu kübeln vermag und um diese Nächte, die stracks in die Apokalypse führen.

traurig // immer öfter / muss ich weinen // über schicksale fremder / menschen / die mir nahegehen // über plötzlich / hereinbrechende melanchonie // unvermutet / schießen tränen in die augen // und traurig / bin ich sowieso // [wien, 15.02.2009] (16)

Zwar wird die Situation durch Fixierung auf Zeit und Ort eingegrenzt, aber der Zustand der Traurigkeit lässt sich durch diese Maßnahme nur inventarisieren, nicht verändern.

In Sprachminiaturen lässt sich freilich auch eine ganze Literaturgeschichte darstellen.

schicksal [österreich] 2 // handke aufs herz / hab mich nie mit rühm / bekleckert / fried sei mit mir / schwab drüber // [wien, 13.11.2009] (22)

Am Beispiel der „bozner miniaturen“ tut sich eine Stadtbesichtigung der anderen Art auf. Regen, Erinnerungstäuschung, Wolfsgeheul und alle lyrischen Beiklänge werden aufgeboten, um das lyrische Ich in einem unguten Ambiente zu verfestigen, in das man es offensichtlich dienstlich oder sonst wie quälend verfrachtet hat. Dutzende Genitive wünscht das aufgebrachte Ich aus Bozen seiner Geliebten nur mit dem einen Wunsch, „du wärst hier“. (63)

Vielleicht genügt das Anspielen eines Ortsnamens, um eine Apokalypse auszulösen, Zistersdorf ist so ein magischer Ort, in dem die Gedanken zu einem einsamen Lied verklumpen.

i'm so lonesome i could cry // ich werde betrunken / von dem lied / dass ich weinen könnte / schreien war nie / meine stärke / heimlich und leise / trunken fast weise / das sterben üben // [zistersdorf, 30.10.2010] (87)

Rudolf Kraus speichert seine Sprachminiaturen auf unscheinbaren Medaillons, die um die eigene Erinnerung getragen plötzlich aufgehen, wenn die Seelenwitterung passt. - Eine feine Form, Poesie durch die Zeit zu retten.

Rudolf Kraus, ein ende ist nicht abzusehen. Sprachminiaturen. Mit einem Vorwort von Beppo Beyerl.
Wien: Verlagshaus Hernals 2013. 90 Seiten. EUR 22,90. ISBN 978-3-902744-80-7.

 

Weiterführende Links:
Verlagshaus Hernals: Rudolf Kraus, ein ende ist nicht abzusehen
Wikipedia: Rudolf Kraus

 

Helmuth Schönauer, 20-08-2014

Bibliographie

AutorIn

Rudolf Kraus

Buchtitel

ein ende ist nicht abzusehen. Sprachminiaturen.

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2013

Verlag

Verlagshaus Hernals

Seitenzahl

90

Preis in EUR

22,90

ISBN

978-3-902744-80-7

Kurzbiographie AutorIn

Rudolf Kraus, geb. 1961 in Bad Fischau, lebt in Wien.

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