Evelyn Grill, Fünf Witwen

Wenn man Familienverhältnisse von der romantischen Verbrämung befreit, bleibt meist ein skurriles Skelett abgemagerter Beziehungen übrig.

Evelyn Grill platziert in ihren neun Erzählungen die diversen Heldinnen und Helden in einer grotesken Form der Familienaufstellung. Entweder die Protagonisten wollen etwas besonders gut machen oder sie haben schon ein Desaster hinter sich und versuchen, die letzten Reste der Individualität zusammenzukehren. Jedenfalls ist kein Drehbuch so lähmend und aufwändig wie jenes, das durch Ehen, Erbschaften und Erziehungsmaßnahmen führen soll.

In der Titel gebenden Start-Geschichte kommt der 52-jährige Icherzähler ans körperliche Limit. Er ist krank und ungelenk und braucht für die Ausscheidungen und Körperpflege dringend Hilfe. Die Frau ist verstorben und die Tochter wandert nach Amerika aus, so bleiben ihm nur die fünf Witwen, die rund um seine Wohnung in den anderen Wohnzellen eingenistet sind.

Keinesfalls möchte der Angeschlagene ins Altersheim, weshalb er die Witwen testet und bittet, ob sie ihm nicht in allen Körperangelegenheiten zur Hand gehen könnten. Wie in einem abschreckenden Katalog ist die eine zu dick, die andere frisch geschieden, eine dritte trinkt, eine andere ist mit einem eifersüchtigen Mesner liiert, die letzte schließlich zu freiheitsliebend. Da bleibt nur der Suizid, aber auf dem Weg dafür in den Keller verliert der Held vor den Witwen die Hose und kann so entblößt und begafft nicht einmal dem Leben in Ruhe ein Ende setzen.

Ähnlich verrückt geht es beim „Wunschkind“ zu. Mal verbockt es der Mann, dann wieder die Frau, lange zieht sich die Ehe kinderlos dahin, bis sich kein Kind mehr einstellt. Da taucht glücklicherweise ein Pärchen auf, das aus Versehen schwanger geworden ist, das Kind soll zur Adoption frei gegeben werden. Damit alles seine emotionale Ordnung hat, schläft die kinderlose Frau noch kurz mit dem potentiellen Kindsvater, was aber die Ehe beendet, freilich im Austausch mit einem Wunschkind.

Ein „wirklicher Hofrat“ erweist sich in Familienangelegenheiten als vertrotteltes Schwein. Als die Tochter das Erbe einklagt, stellt er sie vor Gericht als Säuferin hin. Sie revanchiert sich, indem sie angibt, der Spross eines Seitensprungs zu sein, was den Hofrat wirklich verunsichert.

In der „Rosen-Zeit“ bekommt ein betuliches Ehepaar zur Hochzeit Adalbert Stifters Nachsommer geschenkt. In der Folge versucht das Paar nach den Stifterschen Richtlinien zu leben, was zu einem allgemeinen Stillstand und zum Tod der Ehe führt. Ein Sturz in einen Rosenstrauch vermittelt der Frau einen Rest von Leben.
Evelyn Grill lässt die Figuren sarkastisch auf einander zulaufen. Je wörtlicher jemand die Familienidylle nimmt, umso verlässlicher entgleist er.

Evelyn Grill, Fünf Witwen. Erzählungen.
Innsbruck: Haymon 2015. 167 Seiten. EUR 17,90. ISBN 978-3-7099-7169-7.

 

Weiterführende Links:
Haymon Verlag: Evelyn Grill, Fünf Witwen
Wikipedia: Evelyn Grill

 

Helmuth Schönauer, 19-02-2015

Bibliographie

AutorIn

Evelyn Grill

Buchtitel

Fünf Witwen

Erscheinungsort

Innsbruck

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Haymon Verlag

Seitenzahl

167

Preis in EUR

17,90

ISBN

978-3-7099-7169-7

Kurzbiographie AutorIn

Evelyn Grill, geb. 1942 in Garsten, lebt in Freiburg im Breisgau.