Ada Zapperi Zucker, Ein Tag in Bozen

Am eindringlichsten lassen sich Orte porträtieren, wenn Heldinnen und Helden als Fremde von diesen sozialen Gebilden angenommen oder abgestoßen werden. Die Protagonisten vereinen dabei in ihrer kombinierten Innen- und Außensicht fixe Eindrücke der Einheimischen mit elastischen Gedankengängen aus anderen Kulturen.

Ada Zapperi Zucker lässt in ihren Erzählungen meist eine Person von außen in die versteifte Idylle Südtirols kommen, womit automatisch Reibungspunkte entstehen und Aufklärungsarbeit angesagt ist.

„Die französische Gouvernante“ trifft nach brieflicher Anbahnung kurz vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges in Gossensaß ein, um einem Witwer bei der Erziehung der drei Söhne beizustehen. Da die Söhne gerade geschlechtsreif werden, kommt alles so, wie es in Südtirol kommen muss, die angeheuerte Erzieherin Louise wird von einem der Jungs schwanger.

Jetzt ist das übliche Krisenmanagement angesagt, Abtreibung geht nicht, der Witwer aber würde eine moralische Notheirat machen, sozusagen als Auffanggesellschaft. Aber die Geschichte geht andere Wege, Luise verliert das Kind und stirbt, nicht ohne noch ein paar Schicksalsfunken zu hinterlassen. Sie ist als Jüdin ein Leben lang auf der Flucht gewesen, ihre Heimat Lemberg ist zerstört, jetzt liegt sie kalt in einem Land, das sich aufmacht, zur Option zu schreiten. In einer engen Legierung aus Zeitgeschichte und individuellem Schicksal gehen schließlich beide verloren, die Individuen, weil sie keinen kollektiven Halt finden, und die Gemeinwesen, weil sie von den Individuen im Stich gelassen werden müssen.

In der Erzählung „Ein Tag in Bozen“ macht Miranda Station in Bozen, sie hat sich von Pisa versetzen lassen, ihr Mann ist Unternehmer im bayrischen Erding. Jetzt auf halber Strecke kommt ihre Geschichte zur Ruhe, die brisant in den letzten Weltkriegstagen angefangen hat, als sich ein deutscher Deserteur im Keller in Pisa versteckt hat. Aus der Weltgeschichte ist eine seltsame Liebesgeschichte geworden.

„Eine kleine minimalistische Geschichte“ zerlegt sich während einer Zugsfahrt in atomistische Teile der Wahrnehmung, dabei reflektiert das erzählende Ich über diese Zutaten, die es zur Komposition eines großen Eindrucks braucht.

„Ein Spaziergang“ in Brixen löst in Frieda eine Gedankenkette in Spazierschritten aus. Obwohl vierzig Jahre verheiratet, ist ihre Beziehung zum Mann immer noch wie zufällig aufgebaut, als Kinder des jeweiligen Zeitgeistes haben sie vielleicht einfach Glück gehabt.

In einer Sammlung von Fragmenten einer Biographie wird schließlich das Leben eines Filmemachers aus hell aufblitzenden Filmkadern  zusammengesetzt – „auf den Spuren einer verlorenen Generation.“

Ada Zapperi Zucker, die als Sängerin ein Leben lang in den Opern zu Hause ist, hat diesen Erzählungen etwas von der Notwendigkeit und Heftigkeit von Opern eingeflochten. Es ist immer großer Stoff, in dem sich die Helden bewegen müssen, es sind die Themen Liebe und Geschichte, denen sich niemand entziehen kann. Und siehe, selbst an Orten wie Brixen, Bozen oder Gossensaß kann sich Weltgeschichte abspielen, wenn die Helden davon übergossen sind.

Ada Zapperi Zucker, Ein Tag in Bozen. Auf den Spuren einer verlorenen Generation. Vier Erzählungen und Fragmente einer Biographie. A. d. Ital. von Domenikus Andergassen. Mit einem Vorwort von Ferruccio Delle Cave. [Orig.: Un giorno a Bolzano, München 2014].
München: VoG Verlag ohne Geld 2014. 220 Seiten. EUR 13,80. ISBN 978-3-943810-07-3.

 

Weiterführende Links:
Verlag ohne Geld
Homepage: Ada Zapperi Zucker

 

Helmuth Schönauer, 09-09-2014

Bibliographie

AutorIn

Ada Zapperi Zucker

Buchtitel

Ein Tag in Bozen. Auf den Spuren einer verlorenen Generation. Vier Erzählungen und Fragmente einer Biographie

Originaltitel

Un giorno a Bolzano

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Verlag ohne Geld

Übersetzung

Domenikus Andergassen

Seitenzahl

220

Preis in EUR

13,80

ISBN

978-3-943810-07-3

Kurzbiographie AutorIn

Ada Zapperi Zucker, geb. 1937 in Catania, lebt in München.