Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert

„Dennoch glaube ich, dass Forscher aus den Sozialwissenschaften wie allen anderen Disziplinen, Journalisten und Kommentatoren sämtlicher Medien, Gewerkschaftler und politische Aktivisten aller Richtungen, und vor allem sämtliche Bürger ernsthaft über Geld nachdenken sollten […]. Diejenigen, die viel davon haben, werden gewiss nicht vergessen, ihre Interessen zu verteidigen. Von den Zahlen nichts wissen zu wollen, dient selten der Sache der Ärmsten.“ (793)

„Das Kapital im 21. Jahrhundert“ bietet wirtschafts-historische Erklärungen für Erfahrungen, die ein großer Teil der Bevölkerung bereits seit längerer Zeit selbst unmittelbar spüren kann: Die finanziellen Möglichkeiten der breiten Schicht der Bevölkerung werden zunehmend geringer, die Einkommensschere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander.

Wie sich das Verhältnis von Arm und Reich, zwischen Einkommen und Kapital vor allem im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte verändert hat und was es für die politische und ökonomische Entwicklung unserer Gesellschaft bedeutet, wenn die Entwicklung des Kapitals wieder Ausmaße erreicht, die sie in der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts hatte, steht im Mittelpunkt des überragenden Werkes zur Geschichte des Kapitals, das weit über bloß theoretische Überlegungen hinausgeht.

Piketty teilt seine Darstellung in vier große Teile ein. Der erste Teil „Einkommen und Kapital“ führt in die wichtigsten Grundbegriffe des Buches ein: „Nationaleinkommen“, „Kapital“ und das „Kapital-Einkommens-Verhältnis“. Dabei wird auch die Entwicklung der weltweiten Einkommen und Produktion aufgezeigt sowie des Bevölkerungswachstums und der Produktion seit der Zeit der Industriellen Revolution. Die Leser erfahren dabei wichtige Grundprinzipien der Ökonomie wie:

  • Nationaleinkommen = Inlandsproduktion + Nettoeinnahmen aus dem Ausland
  • Welteinkommen = Weltproduktion
  • Nationaleinkommen = Kapitaleinkommen + Arbeitseinkommen
  • Nationalvermögen = Privatvermögen + Staatsvermögen

sowie das 1. grundlegende Gesetz des Kapitalismus, dessen Formel



besagt, dass das "Kapital-Einkommensverhältnis" der "Anteil des Kapitals am Nationaleinkommen" und die "Kapitalrendite miteinander verbunden sind. Dabei misst r, was ein Kapital im Laufe eines Jahres einbringt.

Mit dieser Formel lässt sich die Bedeutung des Kapitals in einzelnen Ländern aber auch auf der ganzen Welt untersuchen. Vor allem aber wird darauf hingewiesen, dass es für eine demokratische Gesellschaft zu einem unausweichlichen Problem wird, wenn der Gewinn aus Kapitalbesitz dauerhaft höher liegt, als die Wachstumsrate von Produktion und Einkommen.

Im zweiten Kapitel „Die Dynamik des Kapital-Einkommens-Verhältnisses“ wird untersucht, wie sich die langfristige Entwicklung des Verhältnisses von Kapital und Einkommen sowie die Verteilung des Nationaleinkommens auf Einkünfte auf Arbeit und Kapital entwickeln. Weiters wird die Veränderung des Kapitals in verschiedenen Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland und den USA im Laufe der letzten Jahrhunderte aufgezeigt und die möglichen Entwicklungen in den kommenden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts analysiert.

Im umfangreichsten dritten Kapitel „Die Struktur der Ungleichheit“ zeichnet die Dimensionen, welche die Ungleichverteilung von Arbeitseinkommen und Einkünften aus Kapitalbesitz in der Praxis erreicht hat, wobei auch die langfristige Entwicklung und Bedeutung von Erbschaften aufgezeigt und mögliche Perspektiven für die Entwicklung der Vermögensverteilung für die 1. Hälfte des 21. Jahrhunderts gegeben werden.

Das abschließende 4. Kapitel „Regulierung des Kapitals im 21. Jahrhundert“ bleibt nicht bei der Analyse der Vermögensverteilung in unserer Gesellschaft stehen sondern versucht auch Lehren aus den präsentierten Untersuchungen zu ziehen und mögliche Lösungen und Regulierungsformen anzubieten, wobei der Vorschlag einer progressiven Kapitalsteuer als bestes Regulierungsinstrument bei internationaler Kooperation erscheint.


Auf einer eigenen Internet-Site finden sich die Anhänge, Daten und der Untersuchung zugrunde liegenden Unterlagen. Bild: Thomas Piketty, Capital in the 21st century

 

Thomas Piketty großes Werk „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ hat zu Recht für Furore auf der ganzen Welt gesorgt, auch weil es nur wenigen Autoren einer so schwierigen und komplexen Disziplin, wie es die Wirtschaftswissenschaft und Wirtschaftsgeschichte dargestellt, gelingt, seinen Leserinnen und Lesern Informationen, Gesetzmäßigkeiten und Wissen verständlich zu vermitteln.

Dazu verzichtet der Autor weitgehend auf die Verwendung von komplexer und schwerverständlicher Wirtschaftsmathematik sowie Quellen, Tabellen und Anhänge, die er vollständig auf seiner Internetseite „Capital in 21st century“  offenlegt und damit Lesefluss und Verständlichkeit des Haupttextes zusätzlich erhöht.

Dieser zutiefst pädagogische Anspruch hat ein zutiefst demokratisches Verständnis von Gesellschaft und Wirtschaft als Grundlage, die davon ausgeht, dass die Menschen die ökonomischen Zusammenhänge, in denen sie leben, verstehen sollen und an ihrer Veränderung und Entwicklung demokratisch beteiligt werden sollen. Nur so lässt sich eine demokratische Gesellschaft, wie sie in den Verfassungen und politischen Grundsatzprogrammen gefordert wird, aufrechterhalten und entwickeln. Thomas Pikettys überaus empfehlenswertes und wichtiges Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ bietet dazu allen Bürgerinnen und Bürgern dazu das nötige Hintergrundwissen.

Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert. Übers. v. Ilse Utz / Stefan Lorenzer [Orig. Titel: Le capital au XXIe siècle]
München: C.H. Beck Verlag 2014, 816 Seiten, 30,80 €, ISBN 978-3-406-67131-9

 

Weiterführende Links:
Thomas Piketty, Anhang zu "Das Kapital im 21. Jahrhundert
C.H. Beck Verlag: Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert
Wikipedia: Das Kapital im 21. Jahrhundert
Wikipedia: Thomas Piketty
Interview mit Thomas Piketty

 

Andreas Markt-Huter, 23-04-2015

Bibliographie

AutorIn

Thomas Piketty

Buchtitel

Das Kapital im 21. Jahrhundert

Originaltitel

Le capital au XXIe siècle

Erscheinungsort

München

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

C. H. Beck Verlag

Übersetzung

Ilse Utz / Stefan Lorenzer

Seitenzahl

816

Preis in EUR

30,80

ISBN

978-3-406-67131-9

Kurzbiographie AutorIn

Thomas Piketty ist Professor an der Pariser École d’economie. 2013 erhielt er den Yrjö Jahnsson Preis der European Economic Association, 2015 den Preis Das politische Buch der Friedrich-Ebert-Stiftung. Sein Buch Das Kapital im 21. Jahrhundert ist ein internationaler Bestseller.