Erich Ledersberger, Ich bin so viele

In einer Gesellschaft, wo das Vermehren von Kapital als das Non-plus-Ultra des Lebensglückes gilt, versuchen es einige auch mit dem Vermehren der eigenen Identitäten.

Erich Ledersberger versammelt in seinen je nach Lesart neun oder sieben Kurzerzählungen Menschen an jener Kante, wo es vielleicht noch etwas Neues geben soll, in Wirklichkeit bloß noch der Sprung in den Abgrund bleibt.

In der Titelgeschichte „Ich bin so viele“ versucht ein Typ jenseits des eigenen Horizonts die digitalen Dates diverser Foren in eine analog-ungelenke Altherren-Erotik umzumünzen. Der Reihe nach lädt er entsprechende Frauen in sein Biedermeierambiente und kocht und spielt und turtelt ungelenk, ehe dann doch die Anmache in Erotik-Desaster übergeht. Macht nichts, denkt sich der Held, ich habe ja noch andere Identitäten, denn ich bin so viele.

Eine gewisse Tante Gerti, ein Mittelding von Verwandter und Sex-Kolumnistin, hilft einem alten Knacker noch auf die moralischen Sprünge, als sich dieser auf den ersten Seitensprung einlässt und prompt überfordert wird.

Ein pensionierter Staatspolizist läuft sich täglich bis knapp vor dem Herzinfarkt in Form, eine Frau beobachtet ihn und übernimmt die Herzmassage, die praktischerweise im nahegelegenen Reihenhaus stattfinden kann. Besonders die Sexeinlagen bringen das alte Herz wieder gut in Schwung. Als der Stapo um Fortsetzung bittet, wird er belehrt, zwischen Beruf und Familie gibt es noch die organische Mangelverwaltung, diese drei Bereiche dürfen nicht verwässert werden.

Um „wahre Gefühle“ geht es auch in der sogenannten Altersversorgungsgeschichte. Die Familie kommt zu einem aufgeblasenen Essen zusammen, es steht nämlich eine große Entscheidung bevor. Und in der Tat erklärt Mutter, dass sie alles verkauft und in eine thailändische Stiftung eingebracht habe. Die Angehörigen sollen sich keine Sorgen machen, im hohen Alter können sie ja selbst einmal im Heim der Stiftung wohnen. Nach dieser Ankündigung brechen in der Sippschaft die wahren Gefühle los.

Neben dem sexuellen Notstand mit verkalkten Geschlechtsorganen ist die Holprigkeit familiärer Beziehungen das zweite große Thema dieser multiplen Heldinnen und Helden. Eine Mutter erklärt per Abschiedsbrief der Tochter, dass sie einen neuen Altersmann gefunden habe. „Jetzt, wo du nicht da bist, können wir ja miteinander reden“ (39), meint die sonst nur digital kommunizierende Tochter und säuft sich an. Die Mutter hat nämlich alles noch verkauft, obwohl sie gar nicht an Alzheimer leidet.

Erich Ledersbergers Anschnitte ins notdürftig verklebte Sozialgefüge zeigen Figuren um sechzig herum als große verwundete Wesen, die mit leeren Augen um so etwas wie Gnadenschuss bitten, wenn es nicht verboten wäre.

Erich Ledersberger, Ich bin so viele. Kurzerzählungen.
Norderstedt: BoD 2014. 140 Seiten. EUR 18,-. ISBN 978-3-7357-9380-5.

 

Weiterführende Links:
Books on Demand: Erich Ledersberger, Ich bin so viele
Wikipedia: Erich Ledersberger

 

Helmuth Schönauer, 27-10-2014

Bibliographie

AutorIn

Erich Ledersberger

Buchtitel

Ich bin so viele. Kurzerzählungen

Erscheinungsort

Norderstedt

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

BoD Books on Demand

Seitenzahl

140

Preis in EUR

18,00

ISBN

978-3-7357-9380-5

Kurzbiographie AutorIn

Erich Ledersberger, geb. 1951 in Wien, lebt in Innsbruck.