Anita Pichler, Wie die Monate das Jahr

Für die Aufnahme in den literarischen Klassiker-Kreis braucht es zwei Voraussetzungen: Das Werk muss für Lehrer, Schüler und das Schulwesen gut aufbereitet sein und das Werk muss für die Leserschaft griffbereit und zugänglich sein. Beides ist bei Anita Pichler momentan der Fall, wie im Nachwort stolz vermerkt wird.

Anita Pichlers Erzählung „Wie die Monate das Jahr“ handelt vor allem vom Driften, Abtauchen und Neu-Erwecken einer Geschichte durch die Zeiten und Jahreszeiten. Im Kern geht es um eine kaputte Liebesgeschichte, die anhand einer Abenteuerbiographie aus fernen Zeiten aufgefangen und restauriert werden soll.

Gleich zu Beginn ist die Entfremdung spürbar, die Zeichnerin und der Werbefachmann haben sich getrennt. Übrig ist noch ein Auftrag, worin die Ich-Erzählerin Zeichnungen zu Oswald von Wolkenstein verfertigen soll, die man in einer neuen Edition verwenden könnte.

In den drei Abschnitten Kindheit, Abenteuer und Reife wird nun der Künstler, Politiker und Abenteurer Oswald für die Gegenwart gezeichnet. Dabei fließt ständig aktueller Alltag in die Skizzen. Myriam, die Ich-Erzählerin, wird von der Umwelt argwöhnisch beäugt, und als es einmal zu einem Diebstahl im Haus kommt, wird sie gleich vorgeladen und ausgehorcht. Sie gilt als verdächtig, weil sie oft den Wohnort wechselt, mehrere Sprachen spricht, eine Frau ist und etwas von Kunst versteht.

Mit den Zeichnungen entsteht allmählich auch ein abgeklärtes Verhältnis zum ehemaligen Geliebten, indem die Erzählerin zwischendurch „sachliche“ Briefe über die Kunst des Porträts, Fragen der Biographie und der historischen Perspektive an ihren Werbemann schreibt.

Es ist schwierig, vom Gesicht eines reifen Mannes, wie es das Porträt von Oswald zeigt, auf ein jüngeres zu schließen. Umgekehrt wäre es leichter. (17)

In bemerkenswerten Posituren, etwa als Schiffskoch, erschließt sich das Leben Oswalds für eine Gegenwart, die längst neue Parameter des Beobachtens und Archivierens gefunden hat. So gibt es mittlerweile keine Jahreszeiten mehr sondern nur noch ökonomisch verbrämte Saisonen.

Ich nehme ein verlassenes Kleid vom Haken, dann ist alles leer. (136)

Die Erzählerin versucht zu sortieren, was wichtig ist, was bleiben soll, es geht nicht um Nebensächlichkeiten, denn in der Welt der Dinge ist kein Platz für Gleichheit. Sie verlässt das Land und fährt zum Brenner hinauf, sie versucht sich das Land ohne Autobahn vorzustellen.

Anita Pichlers Erzählung über Oswald von Wolkenstein in der Gegenwart hat mit diesem zeitlosen Meister gemein, dass der beiden Texte stets frisch und unverblümt sind, weil sie das sich selbst Erzählen zum Thema haben.

Anita Pichler, Wie die Monate das Jahr. Erzählung. Neuausgabe. [Orig.: Frankfurt/M 1989]. Mit einem Nachwort von Christine Riccabona. Zwei Radierungen von Markus Vallazza.
Wien, Bozen: Folio 2014. 160 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-85256-649-8.

 

Weiterführende Links:
Folio Verlag: Anita Pichler, Wie die Monate das Jahr
Wikipedia: Anita Pichler

 

Helmuth Schönauer, 02-11-2014

Bibliographie

AutorIn

Anita Pichler

Buchtitel

Wie die Monate das Jahr

Erscheinungsort

Bozen

Erscheinungsjahr

2014

Verlag

Folio Verlag

Illustration

Markus Vallazza

Seitenzahl

160

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-85256-649-8

Kurzbiographie AutorIn

Anita Pichler, geb. 1948 in Schenna, starb 1997.