Johannes Twaroch, Stilles Strömen der Zeit
Während die große Literatur wie massive Brückenpfeiler in das wilde Wasser der Gegenwart gerammt ist, sind die Miniaturen am ehesten mit dem Fugenkitt rund um wasserdichte Erlebnis-Elemente zu vergleichen.
Johannes Twaroch nennt seine Kurzprosa stilles Strömen der Zeit, unter der großen Fläche von Weltnachrichten perlen immer diese Minutentexte hervor, oft nur bemerkbar, wenn man als Leser eine Auszeit nimmt, und sei es für Minuten.
Das System Minutentexte fußt auf der Tatsache, dass Autor und Leser dann am produktivsten sind, wenn sie die Randzeit, die kleinen Pausen, die stillen Wartesequenzen mit Schreiben und Lesen ausfüllen. Diese kleinen Sequenzen können sich daher keinen Schnickschnack leisten, mit einem Atemzug ist alles aufgetan, mit einem zweiten schon wieder alles verschwunden.
Johannes Twaroch platziert seine Minutentexte ähnlich den Proben fürs Mikroskop unter den Sehschlitzen: Fragmente eines Tagesanfangs / Jahreszeiten / Kinderszenen / Heldenfriedhof / Welt-Alphabet.
So zieht der Tagesanfang zwar immer vor den Augen des Lesers vorbei wie das sprichwörtliche Murmeltier, dennoch ereignen sich in den Miniaturen diese Devianzen, die letztlich jeden Tag unvergesslich machen.
weg zur arbeit // 5 pflastersteine weit sehen. randstein, kanalgitter, fahrbahn. 1x sand, 1x pflaster, 1x asphalt. die beine gehen von selbst, weichen anderen beinen aus, machen andere beine ausweichen. rechts & links häuser. [...] (21)
In diese Grundausstattung des Wegs zur Arbeit bröseln dann freilich Individualitäten ein, die man wie in einem Vexierbild im idealen Anstand von sich selbst fernhalten muss, um sie zu entdecken.
Aber die Zeit strömt nicht nur als Masse der Werktätigen durch die Morgenrituale, auch die Natur im Jahresverlauf hält sich an strenge biologische Vorgaben.
jänner // der j. ist der abscheulichste monat. gern würde man auf ihn verzichten. er ist die mittelstation des tunnels winter. vor & hinter ihm finsternis. (41)
sommer // 300 tage im jahr schläft der s., er ist müde vom sommern, knorzt irgendwo im süden. in gegenden, von denen die kinderbücher erzählen. (45)
In der Abteilung Heldenfriedhof werden ganze Biographien zu Minutentexten geschrumpft, letztlich muss selbst die heldenhafteste Karriere auf einem Grabstein Platz haben. Oft sagen allein die Namen schon alles: Göpfritz, Runzelmeier, Schriefold, Morales. Wer davon ist Diktator, wer Sportlerin, wer Arzt?
Im Weltalphabet schließlich verkommen die wichtigsten Begriffe des universalen Atems zu einem fulminanten Stoßseufzer. Rolltreppe, vögeln, Opernball, pinkeln, alles ist bloß ein kleiner Schwimmkörper im großen Strom der Zeit.
Johannes Twaroch, Stilles Strömen der Zeit. Kurzprosa – Minutentexte.
Mödling: Edition Roesner 2014. 124 Seiten. EUR 18,90. ISBN 978-3-902300-92-8.
Weiterführende Links:
Edition Roesner: Johannes Twaroch, Stilles Strömen der Zeit
Wikipedia: Johannes Twaroch
Helmuth Schönauer, 03-01-2015