Harald Darer, Herzkörper

Was tut sich eigentlich täglich am Rand des Systems und kann man den Rand von der Mitte aus beschreiben oder gar verwalten?

Harald Darer sticht mit seinem Roman „Herzkörper“ in jene Wunden, die sogenannte Außenseiter für die Harmonie-bedürftige Mitte jeweils darstellen. Schon der Titel Herzkörper deutet darauf hin, dass hier ein Wärmeaustausch zwischen Emotionen und sozial- thermischen Heizkörpern stattfinden soll.

Die Figuren ABC (Andi, Boro, Chris) bewegen sich am Rande einer Kleinstadt in einem abgegrenzten Milieu. Zwar haben sie es immer wieder mit Ämtern, Arbeit und AMS zu tun, aber in der durchgehenden Freizeit beschäftigen sie sich mit eigenartigen Spielen, die zwischen Grob-Sex und nackter Gewalt angesiedelt sind.

Gegenspieler und Leidtragender ist Rocko, der sich als Obdachloser immerhin beim AMS ein Standing erworben hat, indem er seine Arbeitsunfähigkeit zumindest in Ansätzen beweisen möchte. Dieser Rocko wird nun gnadenlos verfolgt, in die Enge getrieben und geprügelt. Wenn er fertig gemacht ist, kommt fallweise seine Tochter dran, die in der Bar regelmäßig bei den Jungs die perversesten Sexualvorstellungen auslöst.

Vor allem die Sprache, mit der Gewalt und Sex beschrieben sind, hat es in sich, die Brutal-Sprache ist das letzte Refugium der Jungs.

Wir, die Psycho-Boomer-Generation, sind die sogenannten Human Resources unserer Eltern, der Größenwahn unserer Hersteller. (96)

Quer zu diesem Ablauf, in dem stets sarkastische Bonmots aus der Stammtischwelt eingeflochten sind wie etwa der Verursacher manchen Elends, „Bundeskanzler Kloschüssel“ (100), interviewt eine Fachjournalistin die Soziologin Satori, die gerade zur Rektorin gewählt worden ist. Im Sinne einer Antrittsvorlesung entwickelt Frau Satori ziemlich akademisch eine Welt, die in der Realität amorph geworden ist. Das überhöht Akademische zeigt in der völlig danebengegangenen Wortwahl eine Hilflosigkeit, die sich nicht übertünchen lässt.

Es gibt zumindest zwei Optionen, erstens die Verliereroption, also ein Unglück anzunehmen und immer wieder in das Unglück hineinzugehen, oder zweitens die Siegeroption, aus dem Unglück herauszugehen, es hinter sich zu lassen und im besten Fall noch einen Nutzen daraus zu ziehen. (43)

Während ein Teil der Gesellschaft aus dem Ruder läuft, rudert sich der andere durch hohle Phrasen in soziale Höhen hinauf, ließe sich diese Dichotomie zusammenfassen. Ein Polizeiprotokoll nach dem Verhör von ABC lässt dann erahnen, was sich wirklich abspielt, wenn es zur Konfrontation kommt.

Harald Darer lässt die akademische und die ausgegrenzte Welt in ihren jeweiligen Sprachbottichen sieden. Beide Welten sind unendlich kreativ, wenn es um die Ablenkung von den wahren Problemen geht, die einen wollen nicht, die anderen können nicht. Herzkörper ist eine ungeschminkte Milieustudie, in der es jeglichen Sozialkörpern das Herz zerreißt.

Harald Darer, Herzkörper. Roman.
Wien: Picus 2015. 205 Seiten. EUR 21,90. ISBN 978-3-7117-2023-8.

 

Weiterführende Links:
Picus Verlag: Harald Darer, Herzkörper
Homepage: Harald Darer

 

Helmuth Schönauer, 01-03-2015

Bibliographie

AutorIn

Harald Darer

Buchtitel

Herzkörper

Erscheinungsort

Wien

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Picus Verlag

Seitenzahl

205

Preis in EUR

21,90

ISBN

978-3-7117-2023-8

Kurzbiographie AutorIn

Harald Darer, geb. 1975 in Mürzzuschlag, lebt in Wien.