Gesa Olkusz, Legenden

Jeder Familienverband lebt davon, dass die einzelnen Mitglieder ein Narrativ entwickeln, worin geschönte Lebensläufe eine Art gelungenen Zusammenhalt zum Ausdruck bringen.

Gesa Olkusz nennt ihren Roman vielsagend „Legenden“, darin werden die Figuren der Vergangenheit oft heiliggesprochen und schön geredet, damit sich die Gegenwart halbwegs aushalten lässt. Held dieser Legenden ist ein gewisser Filbert, der gespalten in Ich-Perspektive und Außensicht durch Berlin strolcht auf der Suche nach Arbeit, Bleibe und Identität.

Zerrissen in kleine Episoden ist er letztlich noch nicht in der Gegenwart angekommen, Erzählungen aus der Kindheit vermischen sich mit der Geographie der Stadt, ein Tantchen wacht über die richtige Deutung der Geschichten und korrigiert immer wieder die Erzählungen vom Widerstandswillen des Großvaters im Osten des großen Krieges.

In Berlin ergibt sich für Filbert eine romantische Beziehung zu Mae, von der nicht klar ist, ob sie nicht auch ein Stück aus der Legendenbeschreibung ist. Zum großen Kontrahenten mausert sich ein gewisser Aureliuz heraus, der einerseits Kontaktmann in die Vergangenheit ist, andererseits aber auch als Agent der Gegenwart mit falschen Bildern aufräumt.

Die Episoden aus längst vergangenen Tagen zu Haus in einem fernen Dorf stehen gleichwertig neben Bauplänen für die Zukunft, wo der Held zwischendurch in einer reaktivierten Fabrik in Berlin arbeitet, indem er passende Bilder schnitzen muss.
In einem Mittelding aus Krippe und Kuckucksuhr werden dabei die wichtigsten Bilder aus dem Holz geschnitzt und zu idealisierten Konstellationen zusammengepfercht. Aus der Kindheit ist die Floskel übrig geblieben, dass ein Uhu dabei sein muss, soll ein Bild authentisch werden. Woher aber einen Uhu nehmen in der Gegenwart Mitteleuropas?

Auf der Suche nach den wirklichen Geschichten, die die Vergangenheit halbwegs logisch belegen könnten, greift der Held zu einem Wunderhorn, das ihm ins Hotel geschickt geworden ist. Das Ende des Großvaters durch einen Unfall mit einem Elch scheint hingegen erfunden zu sein. Nach längerer Zeit im Transit macht sich Filbert, der vom Tantchen Fliege genannt wird, auf in das Dorf der Vorfahren, das beileibe viel nüchternen und rechteckiger ist, als in den Legenden der Kindheit nacherzählt. „Fliege ist, wo sie hingehört“ (119), lautet die nüchterne Zusammenfassung.

In der Schlusssequenz ist der Held wieder in Berlin in der Gegenwart unterwegs, er hat ein paar Stiefel aus der Kindheit gerettet und keine Ahnung, was er damit anfangen könnte.

„Legenden“ sind ein logisch wahnwitziger Versuch, aus Dutzenden von Irrgeschichten und falschen Spuren ein geordnetes Biogramm zusammenzuzimmern. – Phantastisch.

Gesa Olkusz, Legenden. Roman.
St. Pölten: Residenz 2015. 192 Seiten. EUR 19,90. ISBN 978-3-7017-1635-7

 

Weiterführender Link:
Residenz Verlag: Gesa Olkusz, Legenden

 

Helmuth Schönauer, 08-02-2015

Bibliographie

AutorIn

Gesa Olkusz

Buchtitel

Legenden

Erscheinungsort

St. Pölten

Erscheinungsjahr

2015

Verlag

Residenz Verlag

Seitenzahl

192

Preis in EUR

19,90

ISBN

978-3-7017-1635-7

Kurzbiographie AutorIn

Gesa Olkusz, geb. 1980, Studium in Amsterdam, lebt in Berlin.